Özals Mutterlandspartei im Abwärtstrend

Bei den Wahlen zum türkischen Parlament hat die Regierungspartei kaum Chancen/ Demirels Partei ist Favoritin  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

„Niemand kann mich zur Rechenschaft ziehen. Allein Allah werde ich am Tag des Jüngsten Gerichtes Rechenschaft ablegen.“ Mit solchen Kraftausdrücken entgegnete der türkische Staatspräsident Turgut Özal die Ankündigung der Oppositionsparteien nach den Parlamentswahlen am 20. Oktober, Korruption und Amtsmißbrauch in der Özal-Ära untersuchen zu lassen. Obwohl die Verfassung vorschreibt, daß der Staatspräsident unparteilich und unabhängig sein Amt führen soll, betreibt Özal Wahlpropaganda für die regierende Mutterlandspartei, die er nach der Militärdiktatur mitgründete.

Parteiführern gleich hält Özal Wahlkundgebungen ab und greift die Oppositionsparteien an: „Wenn ihr den Unsinn glaubt, kommt es zur Katastrophe.“ Im mittelanatolischen Yozgat ließ er die versammelte Menge sogar einen Schwur ablegen. „Wir führen das Land ins 21. Jahrhundert. Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert der Türkei und der Türken werden.“ Özal ist so zu einem entscheidenden Wahlkampfthema geworden.

„Nach den Wahlen wird Özal zurücktreten“, verheißt Süleyman Demirel, dessen „Partei des rechten Weges“ nach den Meinungsumfragen als stärkste Fraktion hervorgehen wird. Wie ein schrecklicher Schatten lastet die Person Özals auf der regierenden Mutterlandspartei. Die Verarmung im Zuge der neoliberalen Wirtschaftspolitik in dem vergangenen Jahrzehnt wird ihm zur Last gelegt. Eine Inflationsrate von 70 Prozent zehrt an der Kaufkraft der Türken. Alles Übel wird von der Mehrheit der Türken mit Özal personifiziert: Clanwirtschaft, Armut und Elend. „Vater, rette uns!“ rufen Zehntausende Menschen, wenn Demirel Wahlkampfkundgebungen abhält. Jeder weiß, was gemeint ist. Befreiung von Özal.

Der amtierende Ministerpräsident Mesut Yilmaz ist ein unverbrauchter, junger Politiker. „Mesut Yilmaz. Denn es gibt noch viel zu tun“ verkünden Werbeanzeigen der Mutterlandspartei mit einem lächelnden Blick des 44jährigen Politikers. Nichtsdestotrotz, die regierende Mutterlandspartei kann laut Meinungsumfragen nur mit einem Viertel der Stimmen rechnen.

Der Konservative Süleyman Demirel, der nach dem Militärputsch 1980 aus dem Amt gejagt wurde, prophezeit den Wahlsieg seiner Partei. Demirels Bastion waren bislang die ländlichen Regionen, während er in den Großstädten relativ weniger Stimmen erhielt. Durch geschickte Öffnung ins liberale Lager will Demirels „Partei des rechten Weges“ Stimmen in den Großstädten gewinnen.

Das sozialdemokratische Lager ist gespalten. Die „Sozialdemokratische Volkspartei“ unter Führung des Physikprofessors Erdal Inönü, verspricht eine Demokratisierung des Regimes. „Die Regierung, die Folter duldet, die Gesetze übertritt und die Verfassung bricht, wird gehen“, versprach Inönü vor Zehntausenden Anhängern in Adana.

Nachdem die kurdische „Arbeitspartei des Volkes“ (HEP) wegen formaler Gründe nicht zugelassen wurde, hat die Partei führende kurdische Oppositionelle auf den ersten Plätzen in Türkisch-Kurdistan plaziert. Noch 1989 waren kurdische Abgeordnete aus der Partei ausgeschlossen worden, weil sie an einer internationalen Kurdenkonferenz in Paris teilgenommen hatten. Die Partei sank daraufhin in den kurdischen Provinzen zur Bedeutungslosigkeit ab. Heute bezeichnet Inönü diesen Vorfall als „bedauerlichen Zwischenfall“. Die Sozialdemokraten wollen den Ausnahmezustand in den kurdischen Regionen beenden. Führende kurdische Regimekritiker wie Hatip Dicle oder Leyla Zana sind heute Kandidaten der „Sozialdemokratischen Volkspartei“.

Kopfzerbrechen bereitet der Partei, daß der ehemalige sozialdemokratische Premier Bülent Ecevit mit einer eigenen Partei antritt, der „Partei der demokratischen Linken“. Ecevit ist in seinen politischen Positionen in den vergangenen Jahren nach rechts gerückt. Er beschuldigt die sozialdemokratische Konkurrenz der Zusammenarbeit mit „Separatisten“. Ecevit, dessen Partei allein auf seine Person konzentriert ist, betreibt Wahlkampf mit nationalistischer Ideologie. Er verspricht sogar eine neue Form der militärischen Bekämpfung der kurdischen Guerilla. „Ecevit ist zum Symbol des Chauvinismus geworden“, kommentiert der Abgeordnete der „Sozialdemokratischen Volkspartei“, Fuat Atalay.

Die kurdische Frage könnte auch für die islamisch-fundamentalistische „Wohlfahrtspartei“ zum Verhängnis werden. Um die landesweite Zehnprozentklausel zu überspringen, kooperiert die Partei mit zwei faschistischen Parteien. Mitglieder der „Reformistischen Partei der Demokratie“ und der „Nationalistischen Arbeitspartei“ kandidieren auf den Listen der „Wohlfahrtspartei“. Der Faschist Alparslan Türkes, der mit seinen „Grauen Wölfen“ Ende der siebziger Jahre Mord und Terror verbreitete, ist Spitzenkandidat in Yozgat. Angesichts der Aufnahme von führenden Faschisten verspielen die Fundamentalisten ihren Kredit in den kurdischen Gebieten. Der bekannte islamisch-kurdische Politiker Seraffetin Elci zog seine Kandidatur wegen Türkes zurück.