Wahlanalyse der SPD: Schuld sind die anderen

■ Die Selbstkritik war schnell abgeschlossen. SPD-Parteichef Björn Engholm schob die Schuld für das Abdriften der SPD-Stammwähler nach rechts der CDU zu. Mit ihrer emotionalen Debatte um das...

Wahlanalyse der SPD: Schuld sind die anderen Die Selbstkritik war schnell abgeschlossen. SPD-Parteichef Björn Engholm schob die Schuld für das Abdriften der SPD-Stammwähler nach rechts der CDU zu. Mit ihrer emotionalen Debatte um das Asylrecht hätte sie das rechte Spektrum mobilisiert. Ob große Koalition, Ampelkoalition oder Rot-Grün, blieb gestern offen.

Todernst und ohne Begleitung eines seiner Vorstandskollegen stellte sich am Tag nach dem Bremer Wahldesaster der SPD-Vorsitzende Björn Engholm in Berlin der Presse, wo am Vormittag der Parteivorstand als ersten Tagesordnungspunkt die „schmerzliche Niederlage nach einer Serie guter, überzeugender Wahlerfolge der SPD“ diskutiert hatte. Mutterseelenallein überließ die Partei ihrem Vorsitzenden die traurige Aufgabe der Schuldzuweisungen. Die Genossen hatten sich offensichtlich darauf geeinigt, Engholm mit drei wesentlichen Gründen für das Bremer Wahldebakel nach draußen zu schicken, deren Reihenfolge ihre Bedeutung am Stimmenverlust ausdrücken soll.

An erster Stelle nannte der Parteivorsitzende „hausgemachte Gründe“, die er denn aber auch auf Nachfrage nicht weiter ausführen wollte. Allein aus der beiläufigen Anmerkung, die Bundes-SPD werde den Bremern bei Neuerungen behilflich sein, schimmerte durch, daß den Kollegen aus der Hansestadt noch heftige Diskussionen mit der Parteizentrale bevorstehen. „In hoher Geschwindigkeit“ müßten die Bremer nun selbstkritische Überlegungen anstellen, wie sie mit der Situation fertigwerden können. In erster Linie komme es aber nach dem Wahlergebnis nun darauf an, eine stabile Koalition zu finden: Entscheiden müßten das aber die Bremer, auch wenn er, Engholm, persönlich keine Notwendigkeit für eine große Koalition erkennen könne.

Damit war der Punkt Selbstkritik flott abgeschlossen. Bundespolitisch habe das Resultat nur geringe Bedeutung. „Es schmälert auch nicht die starke Position und die hohen Sympathiewerte der SPD auf Bundesebene.“ Mit sichtbar größerer Leidenschaft widmete sich der Vorsitzende den „Konservativen“, die es „geschafft haben, mit dem Thema Asyl Emotionen zu wecken“. Die jüngsten Kampagnen zugunsten von Ausländerhaß ließen sich bis in die Spitzen der CDU/CSU zurückverfolgen, „wobei ich ausdrücklich Rühe und Huber nennen will“. Die CDU habe mit Diffamierungen und unverantwortlicher Panikmache Angst und unglaubliche Emotionen geschürt und damit das rechte Spektrum mobilisiert. Die SPD sei dagegen trotz des Wahlergebnisses entschlossen, sich auf keinerlei populistische Stimmungen einzulassen. Politisch baue sie jetzt verstärkt auf eine „Koalition der Vernünftigen und Anständigen“ mit Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgebern und Menschenrechtsorganisationen. Konkret werde seine Partei nach wie vor auf der Beibehaltung des Grundrechts auf Asyl beharren. Nur eine Straffung und Verfahrensbeschleunigung werde helfen, das Thema Ausländerfeindlichkeit in den Griff zu kriegen. Gleichzeitig, so Engholm, wolle die SPD den Ursachen für Flüchtlingsbewegungen im Ursprungsland nachgehen und „humane Regelungen“ für die Zuwanderung von Aussiedlern durchsetzen.

Auch für die drittgenannte Ursache des schlechten SPD-Ergebnisses in Bremen mußten gestern die „Konservativen“ herhalten, die, so Engholm, „die SPD erfolgreich für finanzielle Probleme in Bremen verantwortlich gemacht“ hätten. Knapper Kommentar: Dafür ist die SPD nicht haftbar zu machen.

In Bonn feierten Bundeskanzler Kohl und die Spitzenvertreter der Bremer CDU das Abschneiden der Union als „großartiges Ergebnis“ und die Stimmenverluste der SPD als „vernichtende Niederlage“. CDU- Spitzenkandidat Ulrich Nölle will sogar ein Koalitionsangebot der SPD abwarten. Jedenfalls wollten sie sich „nicht verweigern“. Mit der Asyldiskussion im Wahlkampf allerdings hätten die Sozialdemokraten viele Wähler zur rechtsextremen DVU getrieben. Nach Ansicht von CSU- Chef Waigel wiederum hat die SPD mit dem Wahlergebnis die „Quittung für ihren Schlingerkurs“ auch in der Asylpolitik bekommen. In der Bonner und Bremer FDP war man „außerordentlich erfreut“ über das offensichtlich nicht so hoch erwartete Ergebnis. Mit „Schrecken und Entsetzen“ sei jedoch der Erfolg der DVU zu bewerten.

Rein rechnerich: Rot-Grün

In Bremen blieb die Koalitionsfrage am Montag vorerst offen. Regieren kann die SPD nicht mit den Liberalen, wie das vor Monaten der heimliche Wunsch des Bürgermeisters gewesen sein mag. Zwar hätte eine SPD/FDP-Koalition im Landesparlament eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme; in der Stadtversammlung Bremen — mit dem Landesparlament bis auf die 20 Bremerhavener Abgeordneten identisch — würde es nicht reichen. Als dieses Ergebnis in der Wahlnacht deutlich wurde, gab es lange Gesichter in FDP-Kreisen. Die große Koalition, im Wahlkampf immer als undenkbar abgelehnt, hat innerhalb der Bremer SPD keine Chance. Was bleibt, ist rein rechnerisch Rot-Grün. Politisch allerdings müßte die durch die Niederlage geschwächte SPD mit deutlicherem Öko-Kurs gegen die aus den Wahlen gestärkt hervorgegangene bürgerliche Hälfte der Stadt anregieren. Wie schwach die SPD ist, machte am Montag nachmittag die Erklärung des Landesvorstandes deutlich: Die Bremer SPD steht einstimmig hinter ihrem eingebrochenen Spitzenmann. Barbara Geier/Klaus Wolschner