: Bosnien im Strudel des Bürgerkrieges
■ Bundesarmee bereitet Offensive vor/ Bosniens Präsident ruft zur Desertion auf/ Absprachen zwischen Armee und Milosevic mitgeschnitten/ Friedensdemonstration in Sarajewo/ WEU berät Friedenstruppe
Belgrad (dpa/taz) — Der jugoslawische Bürgerkrieg ist durch neue Mobilisierungen der Bundesarmee und den Vormarsch weiterer Panzerkolonnen in eine entscheidende Phase eingetreten. An der Grenze zu Slawonien, in Sid, ist im Laufe des Montags eine Kolonne der Bundesarmee mit 400 Fahrzeugen, darunter mindestens 60 Panzern, eingetroffen. Gegen Vokuvar und Vinkovci sind Batterien, „Stalinorgeln“, in Stellung gebracht worden. Die Artillerie der Bundesarmee hat die von ihr eingeschlossenen dalmatinischen Hafenstädte Zadar und Dubrovnik erneut unter Feuer genommen.
Zeitungen in Belgrad berichteten am Montag, der jugoslawische Armeegeneral Nikola Uzelac habe in Banja Luka (200 Kilometer südöstlich von Zagreb gelegen und größter Ort des serbischen Siedlungsgebiets in der bosnischen Kraijna) die „allgemeine Mobilisierung von Personen und technischen Mitteln“ angeordnet. „Wir gehen in die entscheidende Offensive, die Armee hat die Kraft, wirkungsvoll und schnell mit allen faschistischen Kräften abzurechnen“. So der General unter Verwendung des üblichen Klischees, das die Staatsführung Kroatiens mit den Ustascha-Faschisten des Zweiten Weltkriegs gleichsetzt. Der bosnische Präsident Alija Izetbegovic hat die Mobilisierung inzwischen als illegal verurteilt und die zwischen 20 und 60 Jahre alten Reservisten aufgefordert, dem Einberufungsbefehl nicht Folge zu leisten. Uzelac gab in einem Rundfunkinterview zu, daß die Muslimane, zahlenmäßig die stärkste Volksgruppe Jugoslawiens, ebenso die Einberufungsbefehle mißachten wie die kroatische Volksgruppe. Nur die serbischen Wehrpflichtigen rücken ein.
Das unabhängige politische Wochenmagazuin 'Vreme‘, eine der wenigen Stimmen in Serbien, die offen den serbischen Großmachtchauvinismus und den Krieg der Bundesarmeee kritisieren, veröffentlichte am Montag in Belgrad das Stenogramm eines Gespräches von Serbiens Präsidenten Slobodan Milosevic mit dem bosnischen Serbenführer, dem Psychiater Radovan Karadzic. Darin wird deutlich, daß Milosevic in engem Kontakt mit General Uzelac steht. Milosevic forderte Karadzic auf, sich mit allen Problemen an Uzelac zu wenden, der sie im serbischen Sinne lösen werde.
In Sarajewo trafen am Wochenende die beiden, von Skoije und Rijeka aufgebrochenen internationalen Friedenskarawanen der Helsinki- Bürgerversammlung ein und veranstalteten eine Kundgebung, die von mehreren tausend Menschen besucht wurde. Auf ihrem Weg hatten Teile der Karawane in Zagreb und Belgrad Halt gemacht, um die unabhängige Friedensbewegung zu unterstützen.
Die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft sind am Montag in Brüssel zusammengetroffen. Erster Beratungspunkt: die Krise in Jugoslawien. Experten der Westeuropäischen Union (WEU) haben eine Studie mit mehreren Alternativen zur Aufstellung einer Friedenstruppe ausgearbeitet. Ziel ist die Stabilisierung des Waffenstillstandes in Jugoslawien.
Eine Schutztruppe für die EG-Beobachter in Kroatien und Slowenien — nach den Varianten der WEU zwischen 2.000 und 20.000 Mann — soll jedoch nur mit Einverständnis aller Beteiligten und bei effektiver Waffenruhe entsandt werden. Die nicht zur WEU gehörenden EG-Staaten Irland, Dänemark und Griechenland nahmen an dem Treffen ebenso teil wie die Nato-Mitglieder Kanada und Türkei. C.S.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen