Keine Chance für Rosa Luxemburg

■ Großer Senatseifer bei der »vollständigen Säuberung« der Stadt/ Der U-Bahnhof »Rosa-Luxemburg-Platz« soll ebenfalls umbenannt werden/ Der Tag der Einheit wird zum Anlaß einer vierten großen Umbenennungsaktion in der Stadt

Mitte. Zum Tag der Einheit soll die Hauptstadt mit einem Geschenk beglückt werden, welches die Bürger von einem ihrer quälendsten Probleme befreien wird. Mit großem Eifer betätigt der Senat sich als Stadtreiniger. Er möchte seine Schutzbefohlenen vom »Schmutz« der Namen aktiver »Gegner der Demokratie« und zugleich geistig-politischen »Wegbereitern und Verfechtern der stalinistischen Gewaltherrschaft, des DDR-Regimes und anderer kommunistischer Unrechtsregime« befreien.

Oder wie Heinrich Lummer präzise formulierte, »die vollständige Säuberung« beginnt. Es ist die vierte große Straßenumbenennungsaktion nach Kaiserreich, Drittem Reich und sozialistischer Revolution, jetzt mit der Wiedervereinigung als freudigem Anlaß. Diese gute Tat fegt am Tag der Einheit neun Namen von Schildern ebenso vieler U-Bahnhöfe im Osten der Stadt. Erstaunlicherweise nahmen sich die Andersdenkenden auch die Freiheit, den »Rosa- Luxemburg-Platz« mit einem sauberen Namen zu versehen.

Doch warum nur? Wie gut, daß Herr Landowsky hier aus der argumentativen Klemme helfen kann. »Sie hat am Beginn der deutschen Demokratie versucht, sowohl freie Wahlen als auch die Tätigkeit des frei gewählten Parlaments zu verhindern.« Eine übermenschliche Leistung, denn sie wurde vier Tage vor den ersten freien Wahlen in Deutschland ermordet.

Also, was macht Rosa Luxemburg so gefährlich? Können Menschen beim Benutzen der Station unbewußt durch diesen Namen unterwandert werden? Nein, Rosa Luxemburg eignet sich durchaus gut als Namensgeberin einer U-Bahn-Station der neuen Republikhauptstadt. Genügend einleuchtende Gründe hierfür liefern erstaunlicherweise die Parteien selbst. »Als sie sah, was unter Lenin in Rußland im Namen der Revolution an Gewalt und Unterdrückung an der Tagesordnung war, machte sie dagegen offen Front«, weiß Volker Huckenbroich (FDP). Damit liegt sie genau im Trend der Zeit, in der der Begründer der Sowjetunion vom Sockel gestürzt werden soll. Oder fürchten sich die Verantwortlichen, weil »der Humanismus in ihr« stärker »als ihre Parteilichkeit« (Huckenbroich) war?. Kein Grund zur Panik!

Denn ihre These »Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für die Mitglieder einer Partei — mögen sie noch so zahlreich sein — ist keine Freiheit. Freiheit ist immer nur Freiheit des anders Denkenden«, »gehört zu den selbstverständlichen Grundüberzeugungen jedes Demokraten«, erkannte selbst Christdemokrat Klaus Landowsky, dem tatsächlich inhaltliche Ähnlichkeiten zum CDU- Grundsatzprogramm auffielen.

Trotzdem soll sie weg! Woher der Meinungsumschwung, nachdem unsere Politiker begonnen haben, Rosa L. auch als Opfer zu würdigen. »Wenn wir Rosa Luxemburgs im Westteil unserer Stadt gedenken, dann gedenken wir eines der ersten Opfer des republikfeindlichen und rechtsradikalen Terrors, und wir gedenken einer Sozialistin, die wußte, was Freiheit bedeutet«, ehrte Klaus Kremendahl (SPD) , und Huckenbroich ergänzt die erinnerungswerte Tragik: »Rosa Luxemburg war eine polnische Jüdin. Sie gehörte einer diskriminierten Minderheit an und lebte in einer Zeit, in der die Emanzipation der Frau noch in den Anfängen steckte.«

So böte auch ihr »Frau sein« der Regierung die Möglichkeit, ihren Vorsatz, die »Frauenquote« der Straßennamen zu erhöhen, wenigstens nicht zu unterwandern. Zumal mit Rosa Luxemburg die einmalige Chance besteht, aus der Zeit des SED-Regimes etwas zu erhalten, bei dem »in der konkreten Auseinandersetzung, die sich in Ost-Berlin abgespielt hat, ...die Protestierenden eher das Recht (hatten), sich auf Rosa Luxemburg zu berufen«. (Kremendahl) Aber nun braucht ja niemand mehr gegen die Staatsmacht zu demonstrieren, genausowenig, wie sich unsere Politiker um ihre Reden von gestern kümmern müssen. »Sie verdient es, daß wir ihr Ansehen in Ehren halten«, darf dazu als letzter Herr Kremendahl von den Liberalen bemerken. Leider — zugegeben — stammen all die soeben dokumentierten Phrasen aus der Zeit vor dem neuesten großen Umbruch, dreieinhalb ferne, längst vergessene Jahre ist es her, und damals ging es ja auch nur um ein unbedeutendes Denkmal am Landwehrkanal. Schmiernik