Jugoslawische Armee marschiert auf

■ Offensive wird durch Desertionen und Disziplinlosigkeit behindert/ WEU spielt Truppeneinsatz durch

Berlin (dpa/ap/taz) — Der Druck der jugoslawischen Volksarmee auf Kroatien nimmt zu. Gestern wurden die Kampftruppen in Slawonien weiter verstärkt. Am Dienstag morgen verließen erneut zahlreiche Militärfahrzeuge Belgrad in Richtung Slawonien, es handelte sich dabei um Schützenpanzer, Lastwagen und Artillerie. Schon in der Nacht zuvor hatte sich ein Kolonne aus über 100 Panzern, Panzerfahrzeugen sowie Lastwagen in Bewegung gesetzt. Beobachter erwarten eine neue Großoffensive der Armee. Die Militärführung drohte Kroatien gestern offen mit Vergeltungsschlägen, wenn nicht sofort die Angriffe auf Militäreinrichtungen in Kroatien aufhörten. „Für jede angegriffene und eroberte Garnison und sonstige Militäreinrichtung werden wir eine lebenswichtige Einrichtung der betreffenden Stadt zerstören“, hieß es in einer Erklärung der Militärführung, die Kroatien zudem beschuldigte, den zuletzt vereinbarten Waffenstillstand systematisch zu brechen.

Die Offensive der Armee weist jedoch auch auf ein anderes Problem: Die Armee ist durch Desertionen, Verluste und Materialmangel geschwächt. Der nach den kroatischen Angriffen auf die Kasernen in Varazdin, Djakovo, Zagreb, Osijek, Bjelovar etc. eingestandene Verlust an schweren Waffen hat der kroatischen Nationalgarde militärisch Luft verschafft. Die Generalität sieht zudem mit Schrecken, daß die Mannschaften durch massenhafte Fahnenflucht ständig ausgedünnt werden. Über 11.000 Soldaten sollen schon in Kroatien desertiert sein, 14.000 Soldaten seien darüber hinaus von den Kroaten gefangengenommen worden. In Serbien folgte nur ein Drittel der Reservisten dem Stellungsbefehl, Tausende derjenigen, die ihm zunächst Folge leisteten, kehrten nach Hause zurück. In Belgrad protestierten 200 Reservisten gegen den Krieg. „Sie fordern, daß man ihnen sagt, für wen, gegen wen und mit welchem Ziel sie kämpfen“, heißt es in dem kritikfreudigen serbischen Magazin 'Vreme‘. Der serbische Staatschef Milosevic hat bisher geleugnet, daß Serbien sich im Krieg befände. Unklar bleibt auch, welche Grenzen das angestrebte serbische Großreich haben soll. Deshalb regt sich auch in anderen serbischen Medien Kritik an der Armee: sie sei disziplinlos und schlecht organisiert und nicht in der Lage, die Kroaten zu besiegen.

Unterdessen hat die WEU (Westeuropäische Union) in ihrer Eigenschaft als europäisches Militärbündnis diskutiert, wie die EG-Beobachter — ihre Zahl soll von 83 auf 200 erhöht werden — in Jugoslawien notfalls mit Militär zu beschützen seien. Eine erste Variante geht von 2.000 Soldaten aus, eine zweite von 6.000. Die dritte Option geht von einer 5.000 Mann starken Friedenstruppe aus und eine vierte von einer Truppe von 20.000 bis 30.000 Mann. er