Die zivile Revolution scheitert an den Militärs

■ Mit dem Experiment von Präsident Aristide schöpften die progressiven Kräfte Lateinamerikas neue Hoffnung

Berlin (taz) — Haiti lag weltweit gegen den Trend. Als im Dezember des Vorjahres der damals 37jährige Befreiungstheologe Jean-Bertrand Aristide in einem Erdrutschsieg gewählt wurde, über das ärmste Land des Kontinents zu regieren, faßten die Linken in allen Ländern Lateinamerikas Hoffnung. Noch bevor Aristide formal vereidigt wurde, avancierte seine breite „Lavalas“-Bewegung bereits zum neuen Modell für die zivile, die demokratische Revolution. Und tatsächlich: Als am 6. Januar die Duvalieristen unter Roger Lafontant dem Machtwechsel durch einen Putsch zuvorkommen wollten, war es der massive Druck einer aufgebrachten Bevölkerung, der die Armeeführung bewog, die Putschisten alleine zu lassen. Aristide versuchte dann, die Militärs durch gezielte Versetzungen und Pensionierungen hoher Offiziere zu neutralisieren. General Herard Abraham und der jetzige Putschführer General Raoul Cedras galten als verfassungstreue Männer. Cedras war im Dezember mit dem militärischen Schutz der ersten freien Wahlen beauftragt gewesen.

Die Armeeführung begann wahrscheinlich zu konspirieren, als Aristide mit Schweizer Beratern den Aufbau einer zivilen und professionellen Polizeitruppe einfädelte, die mittelfristig eine völlige Auflösung der Armee ermöglicht hätte. Seit Tagen lagen in Port-au-Prince Putschgerüchte in der Luft, und die Sympathisanten Aristides hatten bereits Nachtwachen auf den Straßen organisiert, um jederzeit Blockaden zu errichten und Protestdemonstrationen zusammentrommeln zu können. Doch offensichtlich hatten die Generäle nicht nur aus dem gescheiterten Staatsstreich im Januar, sondern auch aus den Fehlern der sowjetischen Putschisten gelernt. Ohne blutigen Terror unter der Zivilbevölkerung kann eine Protestbewegung nicht so leicht gebremst werden. Für die Schmutzarbeit sorgten uniformierte Vermummte, vermutlich ehemalige Angehörige der gefürchteten Tonton-Macoutes-Milizen, die in den letzten Wochen aus der benachbarten Dominikanischen Republik eingesickert waren. Daß der ehemalige Innenminister Roger Lafontant, der vor zwei Monaten zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, bei einem Befreiungsversuch getötet wurde, mag den Militärs sogar entgegenkommen. Sie versuchen sich als die Retter der Nation in dem von ihnen selbst angezettelten Chaos zu präsentieren. Dennoch werden die Generäle einen schweren Stand haben. Ohne ein anhaltendes Terrorregime werden sie die Bevölkerung, die Aristide mit 67Prozent gewählt hatte, nicht unter Kontrolle bekommen. „Lavalas“ — der Erdrutsch oder Sturzbach — ist eine aus Basisbewegungen, kirchlichen Gruppen, Bauernorganisationen und Elendsviertelbewohnern zusammengewürfelte Bewegung, die ihre Mobilisierungsfähigkeit während des Wahlkampfes eindrucksvoll unter Beweis stellte. Neuwahlen ohne den Volksliebling würden zu einer ähnlichen Farce verkommen wie die Wahlen im Jahr 1988.

Unklar ist noch die künftige Haltung der Regierungen, die die kurze demokratische Phase mit 242 Millionen Dollar unterstützen wollten. Vorerst hagelt es in Washington, Paris und Bonn Proteste. Doch vor allem die USA, die ihren Kandidaten Marc Bazin nicht durch Wahlen an die Macht bringen konnten, werden dem Linken Aristide nicht nachtrauern. Unklar ist auch noch, wie sich die Parteien verhalten werden, die die Lavalas-Regierung teils selektiv unterstützt, teils kritisiert hatten. Ralf Leonhard