Haitis Hoffnungsträger weggeputscht

■ Armeechef Raoul Cedras zwingt den populären Präsidenten ins Exil und übernimmt die Macht/ Bei Schießereien mindestens 26 Menschen getötet/ EG, Frankreich und Deutschland stellen Hilfe ein

Port-au-Prince (afp/ap/dpa/taz) — Auf der Karibikinsel Haiti haben sich die Militärs an die Macht geputscht. Der 38jährige Präsident Jean-Bertrand Aristide, der im vergangenen Dezember bei den ersten demokratischen Wahlen seit über 30 Jahren einen fulminanten Sieg errungen hatte, ist in Begleitung von fünf Familienangehörigen und des ihm loyalen Polizeichefs nach Venezuela ausgeflogen, um nach Frankreich ins zu Exil gehen. Der frühere Pfarrer eines Armenviertels der Hauptstadt Port-au-Prince, der sich zur Theologie der Befreiung bekannte, war zum Hoffnungsträger breiter Massen des ärmsten Staates der westlichen Hemisphäre geworden und hatte als Präsident eine sanfte Revolution und mehr soziale Gerechtigkeit versprochen. Der Staatsstreich begann in der Nacht zum Montag, als Soldaten die Residenz von Aristide umstellten. Nachdem sich zahlreiche Anhänger des Präsidenten vor seinem Haus versammelt hatten, eröffneten die Militärs das Feuer. Mindestens 26 Menschen wurden im Verlauf des Tages bei Auseinandersetzungen erschossen. In einem Konvoi möglicherweise loyaler Militärs, der von meuternden Soldaten angegriffen wurde, gelangte Aristide in den Präsidentenpalast. Bei dessen Erstürmung wurde der Chef der Palastwache erschossen und der Präsident festgesetzt. Noch am späten Montag abend (Ortszeit) erklärte Armeechef Raoul Cedras, daß er die Macht übernommen habe.

Bis auf den katholischen Sender „Radio Soleil“, waren schon am Montag alle etwa 15 Rundfunkstationen unter Kontrolle der Militärs, stellten den Betrieb ein oder sendeten nur noch Musik. Das staatliche Fernsehen gab nur noch ein Testbild von sich. „Radio Antilles Internationale“ meldete vor Abbruch der Sendung, der wegen eines mißlungenen Putschversuchs im Januar zu lebenslänglicher Haft verurteilte Roger Lafontant, der der Duvalier-Diktatur (1957 bis 1986) als Innen- und Verteidigungsminister gedient hatte, sei bei einem Befreiungsversuch im Gefängnis erschossen worden. Dem staatlichen Rundfunk zufolge soll auch der Vorsitzende der Christdemokratischen Partei, Pastor Sylvio Claude, getötet worden sein — möglicherweise wurde der Politiker, einer der prominentesten Gegner der Diktatur, der in jüngster Zeit öfter Präsident Aristide öffentlich kritisiert hatte, von Anhängern des gestürzten Präsidenten gelyncht.

Die Motive der Putschisten liegen noch im Dunkeln. Möglicherweise haben sich die Soldaten der motorisierten Einheit „Engin Lourd“, die vor zwei Jahren vom damaligen Militärmachthaber Prosper Avril gegründet worden war, zur Rebellion entschlossen, weil sie befürchteten, durch loyale, in der Schweiz ausgebildete Sicherheitskräfte ersetzt zu werden. Tatsächlich hatte der Kanton Genf einem Gesuch Haitis stattgegeben und zugesichert, dem Präsidenten beim Aufbau einer persönlichen Garde behilflich zu sein. Noch am Montag waren zwei Genfer Polizeibeamte im Rahmen dieses Projekts nach Haiti geflogen. Der Genfer Polizeikommandant hält es für möglich, daß die Pläne Aristides, eine von der Armee unabhängige Zivilpolizei zu schaffen, in Haiti militärische Kräfte mobilisiert hat, die eine Machteinbuße befürchteten.

Einem Antrag der Botschaft der haitianischen Regierung bei der UNO auf eine Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen wurde nicht stattgegeben. Offenbar lehnten dies China und Indien mit dem Hinweis auf das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates ab. Der für Entwicklungshilfe zuständige EG-Kommissar Manuel Marin kündigte die Aussetzung jeglicher Zusammenarbeit mit Haiti an, „bis die verfassungsmäßige Legitimität wiederhergestellt ist. Haiti wurden im Rahmen der Lome-Kommission für 1991 bis 1995 umgerechnet 246 Millionen Mark an direkter Hilfe der EG zugesprochen. Frankreich will seine Leistungen in Höhe von insgesamt 70 Millionen Mark ebenfalls suspendieren. Auch das Auswärtige Amt in Bonn verurteilte den Staatsstreich in Haiti und erklärte: „Putschende Militärs können für uns keine Partner für eine erfolgversprechende wirtschaftliche Zusammenarbeit sein.“ thos