Dem Abbröckeln eine Deadline setzen

■ Morgen gründet sich der Berliner Landesverband von Bündnis 90/ Das Neue Forum ist über die Beitrittsfrage entzweit/ Engagement der Bürgerbewegten ist in den letzten Monaten gesunken

Berlin. Was dem Abgeordneten aus der Initiative für Frieden und Menschenrechte, Uwe Lehmann, als »Ende der Phase der Zersplitterung« herbeiwünscht, ist dem Aktivisten des Neuen Forums, Reinhard Schult, der »Beginn einer geschlossenen Gesellschaft«. Am morgigen Samstag wird am Alexanderplatz das Berliner Bündnis 90 gegründet. In ihm gehen die Gruppierungen der Bürgerbewegung, Demokratie Jetzt und Initiative für Frieden und Menschenrechte auf. Das Neue Forum droht an der Beitrittsfrage zu zerbrechen. Während ein harter Kern um die Bürgerrechtler Reinhard Schult und Bärbel Bohley das Forum als eigenständige Organisation erhalten will, plädiert ein Großteil der Bezirksgruppen für einen Zusammenschluß im Bündnis 90. Das Neue Forum ist entscheidend, denn es bildet mit rund 800 Mitgliedern die größte Gruppe innerhalb der Bürgerbewegung. Demokratie Jetzt hat weniger als 200 Mitglieder, und die Reihen der Initiative für Frieden und Menschenrechte zählen gerade mal 50 Köpfe.

Die Fronten zwischen den Kontrahenten sind verhärtet. Reinhard Schult will nicht, »daß der Bürgerbewegungsgedanke in einem kleinkarierten Parteiverein untergeht«. Lehmann wittert darin die »Herbstnostalgie« der alten Kämpen, die die friedliche Revolution in Gang gesetzt haben, doch mittlerweile zum »Sektiererklüngel« verkommen seien. In deren Wirken sieht Lehmann den Grund für die selbst herbeigeführte Handlungsunfähigkeit der Gruppierungen, die zu einem generellen Abbröckelungsprozeß geführt habe. Um den zu stoppen, sei mit der Gründung von Bündnis 90 eine Deadline gesetzt.

In der Tat ist das Engagement der Bürgerbewegten in den letzten Monaten erheblich gesunken. Das Hickhack um Vereinigungsmodalitäten und Satzungsfragen bindet und lähmt die Kräfte. Groß ist die Angst bei fast allen, vereinnahmt zu werden. Entsprechend schwierig gestalteten sich die Gründungsdebatten des Bündnis 90. Bei einer ersten gemeinsamen Mitgliedervollversammlung strebte man noch einen Dachverband an, der jeder der beteiligten Gruppen ein gewisses Maß an Autonomie beließ. Mittlerweile wird ein klarer Schnitt mit der Vergangenheit gemacht und das Bündnis 90 neu gegründet.

Bei den Auseinandersetzungen im Neuen Forum geht es nicht nur um eine politische Standortbestimmung, sondern auch ums Geld. Rund 2 Millionen Mark liegen auf den Vereinskonten, die die Bündnis-90-Befürworter am liebsten nach Proporz aufteilen wollen. Schult ist dagegen, »daß die den Namen und die Kohle mitnehmen«. Er stützt sich auf das Votum einer Landesvollversammlung im August, die mit Zweidrittelmehrheit für den Fortbestand des Neuen Forums votierte. Auf dieser Sitzung waren aber nur 90 Mitglieder anwesend. Der Streit ums Geld, so fürchtet Schult, wird noch die Gerichte beschäftigen. dr