Rückkehr der Täter zum Tatort

■ Freudlose Freude am Tag der deutschen Einheit/ Menschenmassen Unter den Linden/ PDS-»Protest statt Fest«/ Eberhard Diepgen im Bürgerstau

Berlin. Am Jahrestag der deutschen Vereinigung schien es die Täter zum Tatort zurückzutreiben. Dicht an dicht drängelten sich die Berliner durch das Brandenburger Tor, und der Feiertag verschwarzrotgoldete ihnen dieses Erlebnis noch einmal besonders. Auch rund um den feierlich beflaggten Reichstag oder Unter den Linden war fast kein Fortkommen mehr, obwohl den Massen dort nichts als das Immergleiche geboten wurde: Mauersteine, sowjetische Armeemützen, Spielzeugtrabis, all dieser Kitsch, der einem längst in kilometerlangen Festgirlanden zum Hals raushängt.

Die Festmusik dazu war das Deutschlandlied, das in diversen Popversionen aus der Eingangstür der Deutschen Schallplatten GmbH gegenüber dem Reichstag herausnölte. Sie überspielte die seltsame Stille unter den Passanten, denen offenbar nicht nach Feiern zumute war, die jene freudlose Freude ausstrahlten, die schon den 3. Oktober des vergangenen Jahres ausgezeichnet hatte.

Auch die Täter der PDS kehrten zum Tatort zurück — in die Sichtweite der Volkskammer. Unter der Parole »Protest statt Fest«, die ihre gegenwärtige »Aktionswoche« umrahmt, wollte die PDS mit einer ganztägigen Veranstaltung im Lustgarten einen Kontrapunkt in die Feierlichkeiten setzen. Die Abgeordneten der Bundestagsfraktion präsentierten sich in einem Zelt ihrer — manchmal auch aggressiven — Zuhörerschaft, an den Ständen gab es Mieterbroschüren, kommunistische Plattformen und Kindersocken. Auf einer kleinen Redetribüne stritten die weiblichen PDS-Parlamentäre Ulla Jelpke und Petra Bläss gegen Ausländerfeindlichkeit und den Paragraphen 218, doch so richtig rückte das vieltausendköpfige Publikum erst beim Auftritt von Parteichef Gregor Gysi zusammen.

»Das geeinte Deutschland ist seinem Ruf gerecht geworden, stark nach rechts zu rücken. Ostler und Westler wurden sich fremder, die Spaltung und Entsolidarisierung wurden tiefer. Selbst im Bundestag lachen wir an verschiedenen Stellen«, zog Gysi die Bilanz aus dem ersten neudeutschen Jahr und erzählte die Geschichte von jenem CDU-Abgeordneten, der sich zu Beginn seiner Rede für die Ehre bedankte, »in diesem hohen Haus reden zu dürfen. Da lachen nur die Ossis, denn wir wissen, wo der das gelernt hat: bei der SED«.

Währenddessen kehrten auch im Roten Rathaus die Täter an den Tatort zurück. Ein »Bürgerfest« wurde im neuen Domizil Eberhard Diepgens gegeben, das einst der Arbeitssitz des gestern selbstredend ebenfalls anwesenden ehemaligen Ostberliner Bürgermeisters Tino Schwierzina gewesen war. Der Eintritt war genauso frei und unbeschränkt wie die zu feiernden neuen Freiheiten: nur einige wenige hatten über Auslosungen bei Radiosendern oder andere Wege Eintrittskarten erhalten. Dafür gab's drinnen dann Sekt umsonst sowie diverse unbedeutende Bands und einen Diepgen im Bürgerstau zu besichtigen. Ute Scheub