Nach dem Rausch die Katerstimmung

■ Im Osten nichts Neues? Mittwoch, N3, 20.15 Uhr

Es ist die Zeit für Zwischenbilanzen. Ein Jahr der deutschen Einheit liegt hinter uns, ein Ende ist nicht abzusehen. Im Fernsehen war es ein Jahr der sorgenvollen Reportagen, die neuen Bundesländer wurden kurzerhand zum Katastrophengebiet erklärt, das unser westliches Geld frißt und frißt. Und sich dann vor die Kameras stellt und nach mehr quengelt. Der Film erzählte von den Umstellungsschwierigkeiten der Ostberliner Polizeibeamten, vom Überlebenskampf eines Magdeburger Gurkenproduzenten und von der neuen Karriere eines Autohändlers. So originell die Beispiele, so alarmierend die Ergebnisse.

Alles begann mit dem Feuerwerk am Tag der deutschen Einheit. „Es war wie ein Rausch“, schwindeln die Autoren leichthin. Die Euphorie war längst verflogen, als die neue Zwangsjacke angelegt wurde. Die Ostberliner Polizisten hatten es damals schwer. Nicht nur, daß sie einen Westbeamten als Aufsicht bekamen, auch die Ostberliner auf dem Alex setzten ihnen zu. „Ihr hättet uns doch plattgemacht, wenn der Befehl ausgegeben worden wäre“, schimpften sie.

Trefflich die Reaktion der Gesetzeshüter: „Bringt nüscht, los, wir haun ab.“ Ein Jahr später sitzen sie etwas lädiert da, ohne Sterne auf den Schulterklappen, ohne Geld in der Tasche, ohne Motivation. So hatten sie sich die deutsche Einheit nicht vorgestellt.

Auch der Magdeburger Gurkenbetrieb Sonnenmeyer fiel tief. Niemand wollte mehr die ostdeutschen Produkte haben. „Alles ein Verpackungsproblem“, glaubte Sonnenmeyer noch wohlgemut vor Jahresfrist. Doch das war nicht die einzige Tücke der Marktwirtschaft. Die Lieferverträge waren längt mit westlichen Firmen abgeschlossen, Sonnenmeyer mußte als Zwischenhändler hausieren gehen. Nach einem Jahr will er wenigstens auf die Lieferliste einer neuen Ladenkette, wird dort vertröstet und abgelinkt. „126 Jahre Familienbetrieb im Eimer, jetzt kannste den Strick nehmen“, lautet seine Zwischenbilanz.

Und dann ist da noch Grandke aus Geltow, ein Mann, der sein Glück als Autohändler versucht. Die Kamera kommt ihn öfters übers Jahr besuchen. Erst mal den Roggen unterpflügen, das Feld mit Bohlen pflastern, die ersten Autos draufstellen. Aber Grandke will nicht die schnelle Mark, sondern ein ordentliches Autohaus, geht bei den Banken betteln, macht Schulden über Schulden, wird zusehends grauer.

„Eigentlich kommt's mir die ganze Zeit so vor, als ob ich träume. Wer realistisch ist, macht so was nicht.“ Aber nach einem Jahr wird tatsächlich das neue Autohaus mit roten Schleifen eingeweiht, und Grandke hat für die nächsten 18 Jahre Schulden am Hals.

Ja, das Leben ist nur im Werbefernsehen schön. Hätten wir den Leuten eigentlich früher sagen sollen. Aber es ist ermüdend, nur die Verlierer der Einheit zu sehen, nie die fetten Gewinner. Das deutsche Einheitstheater geht in sein zweites Spieljahr, wir auf den hinteren Rängen nehmen die Butterstullen raus und trösten uns mit sauren Gurken aus Magdeburg. Sauer macht lustig. Olga O'Groschen