Nadine Gordimer: Moralisch gradlinig und ehrlich

■ Südafrikas bekannteste weiße Schriftstellerin erhält den Literaturnobelpreis/ Glaube an Befreiung der Schwarzen

Berlin (taz) — Es war ein heißer südafrikanischer Sommertag, als Nadine Gordimer zusammen mit anderen Intellektuellen und Nelson Mandela im vergangenen Dezember ins Schwarzenghetto Thokoza nahe Johannesburg fuhr. Dort wollten sie mit ANC- und Inkatha-Anhängern aus dem nahe gelegenen Wanderarbeiterheim Phola Park reden. Letztere hatten kurze Zeit zuvor ANC-Anhänger im Slum angegriffen. Dutzende Menschen waren bei den tagelangen Kämpfen umgekommen, ein schreckliches Gemetzel. Daher die Friedensmission. Selbst Südafrikas neuer Präsident de Klerk hatte sich Wochen vorher an einen ähnlich tristen Ort begeben — wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben — und zeigte sich später über die Armut und Trostlosigkeit der Townships erschüttert.

Zurück zur Szene: Reden wollte mit Nadine Gordimer und selbst Nelson Mandela an diesem Tag niemand auf Inkatha-Seite. Die Besucher wurden sogar mit Waffen bedroht und mußten umkehren.

Ein Tag, den viele kritische Stimmen im Land als Absage an den gewaltfreien Dialog schlechthin ansahen. Ein deprimierender Tag. Doch einer, wie er so in den Büchern von Nadine Gordimer niemals stünde. Vielleicht wird sie deswegen das „ruhelose weiße Gewissen Südafrikas“ genannt. Sie hofft und glaubt, was nicht viele Weiße in diesem vom Rassismus zerfressenen Land tun: an die schwarze Befreiung, an die Versöhnung zwischen Schwarz und Weiß, an ein Zusammenleben. Darüber schrieb die heute 67jährige Tochter jüdischer Einwanderer aus Litauen und England schon in den 50er Jahren Romane wie etwa Burgers Tochter, der die Selbstfindung der Tochter kommunistischer Eltern thematisiert.

Und darüber schreibt sie noch heute. Leuchtet mit eher kargem Stil die im Lauf der Jahre sich vergrößernden Berührungsflächen und Überschneidungen der schwarzen und weißen Welten aus. Da geht es um „farbblinde“ Liebe oder die Rettung einer weißen Familie in chaotischen Revolutionszeiten durch den schwarzen Angestellten. Manchmal wirken die Figuren hölzern, wie am Reißbrett entworfen, ihrer Widersprüchlichkeiten beraubt — um der „Klarheit“ willen, um der „Wahrheit“ und der „gerechten Sache“ willen. Verfolgt und inhaftiert wie andere politische Akteure wurde sie von den Apartheid-Apologeten nie, sie war zu bekannt. Zensiert wurde sie dennoch. Vielleicht deshalb ist ihr schnell das Signet des „aufrechten Menschen“, der „weißen Mama“, der „moralischen Instanz“ angeheftet worden — vom Ausland, das sie immer lobpries.

In Südafrika selbst war ihr Wirkungskreis aufs gehobene weiße Establishment begrenzt. Bücher galten und gelten — mit oder ohne Zensur — als Luxusartikel. Das letzte Buch Nadine Gordimers, Die Geschichte meines Sohnes, für das sie nun auch einen hochdotierten südafrikanischen Buchpreis erhielt (den sie dem südafrikanischen Schriftstellerverband schenkte), kostet ein Viertel des Monatslohns vieler Schwarzer. Wenn jetzt von Schwarzen Bücher gekauft werden, dann eher die nun legalen politischen Schriften Mandelas oder die schwarzer AutorInnen. Gordimers jüngstes Buch ist eine Hommage an den Widerstand, ein Blick zurück. Wie sie die neuen, nicht mehr ausschließlich schwarz-weißen Kräfteverhältnisse literarisch begleitet und reflektiert, bleibt abzuwarten.

Jahrelang jedenfalls war Nadine Gordimer für den Literaturnobelpreis im Gespräch. Daß sie ihn jetzt bekommt, ist fast schon zu spät, aber dennoch eine gerechtfertigte Würdigung besonders ihrer moralischen Gradlinigkeit und Ehrlichkeit. Da mögen manche weiße Intellektuelle in Südafrika oder sonstwo ihr Werk ruhig als „langweilig“ abtun. Sie hat die Auszeichnung verdient. Andrea Seibel