Vom Schlagstock zum Molotowcocktail

■ In der Technischen Universität Berlin trafen sich Soziologen und Rassismusforscher zum Thema „Rechtsextremismus in den fünf neuen Bundesländern“/ „Wahl der Mittel“ hat sich geändert

Berlin (taz) — Vor einem halben Jahr hätte Wolfgang Benz nicht ahnen können, wie brandaktuell das Thema sein würde: „Wir sind von der Wirklichkeit eingeholt worden.“ Der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin hatte Soziologen, Wissenschaftler und Rassismus-Forscher zum Thema „Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in den fünf neuen Bundesländern“ für zwei Tage nach Berlin eingeladen.

Das Pogrom in Hoyerswerda machte Wolfgang Benz „spätestens jetzt klar, wie ernst das Thema ist“. Gerade deshalb dürfe Hoyerswerda nicht als Ausrutscher marginalisiert werden. Die Ausländerfeindlichkeit nehme überhaupt in der gesamten Bundesrepublik zu.

In den neuen Bundesländern macht sich der organisierte Rechtsextremismus breit — eine These, die sich wie ein roter Faden durch fast jeden Debattenbeitrag zog. Und belegt wurde: In der Ex-DDR operieren mittlerweile die Wikinger-Jugend, die sogenannte Tempelhof-Gesellschaft (eine „Germanensekte“), die NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“...

Franziska Hundseder, seit über zwanzig Jahren Fachfrau auf diesem Gebiet, berichtete, daß bundesdeutsche rechtsextreme Organisationen und Parteien die Nationalbewegungen und Unabhängigkeitsbestrebungen vieler Länder in Osteuropa für sich ausnutzen. Vor kurzem habe beispielsweise Kroatiens Präsident Tudjman in Zagreb eine Delegation der „Republikaner“ empfangen. Das Meeting habe nur „informellen Charakter“ gehabt. Kooperationen oder erste Annäherungen gibt es auch mit der russischen antisemitischen Bewegung „Pamjat“.

Zwar sind nach Erkenntnissen von Sicherheitsexperten die meisten Ausländerfeinde in der Ex-DDR noch nicht politisch organisiert, die altbundesdeutschen Nazis aber tun alles, um dies zu ändern. Die NPD in Sachsen ist nach den Worten von Hundseder derzeit der stärkste Landesverband mit ein paar hundert Mitgliedern, ähnlich in Leipzig und Halle. Flächendeckend verbreitet sind dort auch rechtsextreme Zeitschriften: Der 'Sieg‘ mit 15.000, 'Nation Europa‘ mit 14.400 Auflage. Intensive Kontakte pflegen Rechtsextremisten aus Ostdeutschland gerade auch mit Gesinnungsgenossen aus Osteuropa. Fieberhaft suchen Ex-DDR-Nazis beispielweise in Dresden nach potentiellen Mitgliedern, die russisch, polnisch oder ungarisch sprechen können.

Einen „erheblichen Anstieg“ rechtsextremistisch motivierter Straftaten hat der Staatsschutz in den ostdeutschen Bundesländern ausgemacht. Dessen Leiter, Kriminaloberrat Bernd Wagner, berichtete, bis zum 23. September seien auf dem Gebiet der ehemaligen DDR 315 derartiger Straftaten verzeichnet worden. Sein Fazit: „Ein kontinuierlicher Anstieg.“ Aber auch schon vor dem Fall der Mauer habe es Anschläge auf Ausländer gegeben. Eine Tagungsteilnehmerin, die in ostdeutschen Archiven recherchiert, hat herausgefunden, daß vor drei Jahren in Erfurt ein Flüchtling sogar öffentlich von Rechtsradikalen verbrannt worden sei. Gelesen oder gehört hat darüber zu DDR-Zeiten niemand. Wagner: „Ausländer durften als Opfer nicht erscheinen. Das hätte ja diplomatische Verwicklungen mit dem Entsenderstaat gegeben.“

Mit der Wende hat sich die „Wahl der Mittel“ geändert, mit der Rechtsextreme in Ostdeutschland Hatz auf Ausländer betreiben. Nach Erkenntnissen des dortigen Staatsschutzes würden jetzt „Distanzwaffen“ eingesetzt. Bernd Wagner: „Vor der Wende haben ostdeutsche Rechtsradikale mit Baseballschlägern und Taekwondo Ausländer überfallen.“ Inzwischen seien es Molotowcocktails und Luftdruckpistolen.

Von der „sozialarbeiterischen These“, wonach Rechtsextremisten arm und von den Eltern verlassen worden seien, hält Kriminaloberrat Wagner überhaupt nichts. Die meisten Ex-DDR-Nazis kommen seinen Angaben zufolge aus dem „Zentrum der Gesellschaft“: sie hätten Geld und eine gesicherte Zukunft. Uwe Markus, Soziologe aus Ostdeutschland, ergänzte Wagners These. Seine Forschungen zur Ausländerfeindlichkeit in der DDR hätten ergeben, daß die tatsächlich gewalttätigen Rechtsextremen, der „harte Kern“, ideologisch motiviert seien. Die Sympathisanten und die Claqueure — siehe Hoyerswerda — seien die eigentlich „sozial Schwachen“.

Otto Ilius, Ausbilder bei der West-Berliner Polizei, räumte ein: „Ehemalige Volkspolizisten sind eigentlich nur bedingt fähig, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu übernehmen.“ Gearbeitet wird künftig nach dem Prinzip „gemischtes Doppel“: Streife fahren immer ein Polizist/West und ein Polizist/Ost. Thorsten Schmitz