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Der Bürgerkrieg ist nicht zu stoppen

■ Der Kampf zwischen der serbisch dominierten Bundesarmee und der kroatischen Nationalgarde konzentriert sich auf Dubrovnik und Vukovar/ Kroatische Adriahäfen erneut blockiert/ Im Staatspräsidium...

Der Bürgerkrieg ist nicht zu stoppen Der Kampf zwischen der serbisch dominierten Bundesarmee und der kroatischen Nationalgarde konzentriert sich auf Dubrovnik und Vukovar/ Kroatische Adriahäfen erneut blockiert/ Im Staatspräsidium tagen die Serben unter sich und beraten die Verhängung des Ausnahmezustandes

Die Meldungen aus Kroatien scheinen seltsam bekannt. Erneut — wie bereits vor etwa zwei Wochen — werden die Häfen an der dalmatinischen Adriaküste bombardiert, erneut tobt in Vukovar die „Entscheidungsschlacht“, erneut bietet Tudjman einen Waffenstillstand an. Und weiterhin sterben in Kroatien Menschen. Neu ist jedoch, daß deren Zahl, sollten sich die Meldungen aus Belgrad bestätigen, nicht mehr bei „nur“ zehn bis zwanzig, sondern bei Hunderten liegt.

Neu ist auch, daß die mit Artillerie geführten Angriffe gegen die dalmatinische Küste bei Dubrovnik und den südöstlich gelegenen Küstenstreifen Konavli von der jugoslawischen Armee seit zwei Tagen von Stellungen aus angegriffen werden, die in den benachbarten Teilrepubliken Bosnien-Herzegowina und Montenegro liegen. Nicht neu wiederum ist die Begründung der Militärs hierfür: die kroatischen Streitkräfte hätten fortwährend den Waffenstillstand verletzt und griffen weiterhin Einrichtungen und Truppen der Bundesarmee an. In der ostslawonischen Stadt Vukovar kam es in der Nacht zum Donnerstag zu schweren Explosionen. Radio Zagreb berichtete, daß kroatische Truppen einen Gegenangriff unternommen und damit die Offensive der Armee aufgehalten hätten. Radio Belgrad hatte dagegen am Mittwoch gemeldet, die Armeehabe Vukovar „fast vollständig“ besetzt und dringe Haus für Haus ins Stadtzentrum vor. Eine weitere „Verschärfung“ der „Lage“ zeichnet sich jedoch auch in der Politik ab. In Belgrad begann am Donnerstag eine Sitzung des jugoslawischen Staatspräsidiums, an ihr nahmen nur noch die vier Vertreter des serbischen Blocks und drei führende Militärs teil. Bei diesem Treffen, dessen Einberufung vom kroatischen Vorsitzenden des Präsidiums, Stipe Mesic, als illegal bezeichnet worden war, sollen „Schritte zur nationalen Verteidigung“ beraten werden. Der Vertreter Mazedoniens, Vasil Tupurkovski, sagte in einem Interview des mazedonischen Hörfunks, das serbisch dominierte Rumpfpräsidium wolle „dringliche, von der Armee vorgeschlagene Maßnahmen“ beschließen. Auf einer ersten Zusammenkunft am Dienstag hatte das Präsidium die „unmittelbare Kriegsgefahr“ für das Land erklärt. Entsprechend der jugoslawischen Verfassung ermächtigt diese Erklärung die kollektive Staatsführung zur Erklärung des Kriegszustands und der Generalmobilmachung. An der Sitzung am Donnerstag nahmen der stellvertretende Präsident und Vertreter Montenegros, Branko Kostic, der Vertreter Serbiens, Borisav Jovic, sowie die Repräsentanten der von Serbien gleichgeschalteten Provinzen Vojvodina und Kosovo, Jugoslav Kostic und Sejdo Bajramovic, teil. Die Armee war durch Verteidigungsminister Veljko Kadijevic, seinen Stellvertreter Stane Brovet sowie den Generalstabschef Blagoje Adzic vertreten. Mesic, der Belgrad wegen der Kampfhandlungen in Kroatien nicht erreichen kann, hatte bereits die Sitzung am Dienstag als „illegal“ verurteilt und den teilnehmenden Präsidiumsmitgliedern vorgeworfen, sie schlössen sich dem „Putsch“ der Armeeführung an, die den Anordnungen der legitimen Staatsgewalt nicht mehr Folge leiste. Die Vertreter Bosnien-Herzegowinas und Mazedoniens, die am Dienstag noch teilgenommen hatten, blieben daraufhin der Sitzung am Donnerstag fern. Die Führung Bosniens veröffentlichte bereits am Mittwoch eine Erklärung, in der sie betonte, in Sarajevo würden nur die Entscheidungen akzeptiert, die von allen Mitgliedern des Staatspräsidiums getroffen würden. Das Belgrader Fernsehen zeigte am Mittwoch abend erstmals die Aufzeichnung einer Präsidiumssitzung vom März, auf der Verteidigungsminister Kadijevic die Verhängung des Ausnahmezustands im gesamten Land forderte. Dies war damals von den Vertretern Kroatiens und Sloweniens abgelehnt worden. Beobachter in der jugoslawischen Hauptstadt gehen davon aus, daß auf diese Weise die Bevölkerung auf drastische Maßnahmen seitens der inzwischen nur noch von Serbien dominierten Staatsführung vorbereitet werden soll.

Ein „Eroberungskrieg auf dem historischen Gebiet Kroatiens“ findet nach den Worten des slowenischen Präsidenten Milan Kucan derzeit in Jugoslawien statt. Seinen Worten nach handelt es sich bei dem Konflikt nicht um einen Bürgerkrieg, sonder „einen echten Krieg zwischen zwei Nationen, zwei Staaten“. Die Einordnung dieses Konflikts als Bürgerkrieg entspringe dem „Dogma“ von der Notwendigkeit, Jugoslawien als Stabilitätsfaktor in Südosteuropa zu erhalten. Tatsächlich bestehe jedoch bereits kein einheitliches Jugoslawien mehr. Gleichzeitig stellte Kucan aber auch fest, daß Slowenien sich auch nach Auslaufen des von Slowenien und Kroatien angenommenen dreimonatigen Unabhängigkeitsmoratoriums am 7. Oktober nicht von der Friedenskonferenz in Den Haag zurückziehen werde. Das Ende des am 7. Juni mit der EG vereinbarten Moratoriums sei nur die Fortsetzung der bereits verkündeten Unabhängigkeit und Souveränität Kroatiens.

Ebenfalls am Mittwoch hat der kroatische Präsident Franjo Tudjman den amerikanischen Präsidenten George Bush zur sofortigen Entsendung von Truppen nach Kroatien aufgefordert. In einem Brief Tudjmans, hieß es, nur so könne die „entstehende Katastrophe“ verhindert werden. Den gleichen Appell richtete der Präsident auch an den Vorsitzenden der jugoslawischen Friedenskonferenz in Den Haag, Lord Carrington, sowie den niederländischen Außenminister van den Broek, dessen Land derzeit die EG-Präsidentschaft innehat.

Erneut abglehnt hatten die Militärs bereits am Dienstag ein neues Waffenstillstandsangebot des kroatischen Präsidenten. Statt dessen drohte sie: Die Armee werde „lebenswichtige zivile Einrichtungen“ in Kroatien zerstören, wenn die kroatischen Truppen die Blockaden der Armeekasernen nicht aufgeben. Eine Drohung, die wenig später Realität wurde. her

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