Einig im Genuß

Das zentrale Einheitsfest im Hamburg bot wenig für den Sinn, viel für die Mägen.  ■ Aus Hamburg Kai Fabig

Am Flaggenschmuck in der Hamburger Innenstadt ließ sich gestern nicht erkennen, daß die derzeitige Bundesratspräsidentschaft von Bürgermeister Henning Voscherau der Hansestadt die Ausrichtung der 1,2 Millionen Mark teuren, zentralen Einheitsfeierlichkeiten zum 3. Oktober eingebracht beziehungsweise -brockt hatte. Keineswegs war Hamburg in ein Meer aus Schwarz-Rot- Gold getaucht. Die Banken und Sparkassen rund um das Rathaus hängten auch an diesem Tag ihr Fähnchen nach dem Wind und nicht etwa das deutsche. Dafür hatte das Geld der Stadt seine Heimstatt für die Feier freigemacht. Im großen Saal der Börse, die nicht ganz zufällig an der Rückseite des Rathauses steht, fand die erste offizielle Feierstunde zum neuen „Tag der deutschen Einheit“ statt, da das Hamburger Rathaus selbst nicht über ausreichend große Räumlichkeiten verfügt.

So meinte man jedenfalls vorher. Tatsächlich blieben gestern im sogenannten Volksblock, den die Bundesländer mit mehr oder weniger prominenten und verdienten BürgerInnen bestücken sollten, viele Stuhlreihen leer, während die Polit-Prominenz von Bundeskanzler Kohl über die MinisterpräsidentInnen bis zu Bundespräsident von Weizsäcker vollständig erschienen war. Ihnen schmetterte der Jugendchor aus Wernigerode (Ost-Harz) das „Mach' Dich nicht klein“ aus Brahms' „Beherzigung“ entgegen, um dann mit Händels „Vereinter Völker Stimm' erschallt“ zu enden. Doch auf diese — beim Blick in die Welt — unfreiwillige Ironie dürfte der dünne Besuch nicht zurückzuführen gewesen sein.

An Voscherau kann es eigentlich auch nicht gelegen haben. Schon vor Wochen hatte er angekündigt, daß der Einheitstag in Hamburg auf keinen Fall zur „nationalen Nabelschau“ mißraten werde. Um dies zu unterstreichen, hatte er gestern früh auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme einen Kranz niedergelegt. Und in seiner Feierrede mahnte Voscherau zum „gemeinsamen Erinnern“ an den Faschismus. „Mit dem Fall der Mauer soll nichts vergessen sein. Auch das heißt Einheit“, so der hörbar um Nachdenklichkeit bemühte Hamburger Bürgermeister, der das erste Jahr der Einheit „das Jahr der Ernüchterung“ nannte. „Kleinmut, Neid und Egoismus“ seien an Stelle der Opferbereitschaft der ersten Tage getreten und müßten besonders im Hinblick auf die „beschämenden Ereignisse der jüngsten Tage“ bekämpft werden. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth steuerte dann eine Nacherzählung des Vereinigungsprozesses bei. Zum aktuellen Thema Ausländerfeindlichkeit stellte sie fest, daß „dieser Ungeist“ in Deutschland keine Zukunft habe, wir aber auch wüßten, „daß wir die Armutsprobleme dieser Welt nicht über das Asylrecht lösen können“.

Unterdessen wurde draußen deutlich, warum drinnen viele Stühle leer geblieben waren. Das Volk lechzte es offensichtlich mehr nach kulinarischem Föderalismus als nach mehr oder weniger tiefsinnigen Reden. Denn was die Verpflegung anging, hatte dieses „Bürgerfest“ doch ein wenig mehr zu bieten als das übliche Einerlei von Chinesischen Reispfannen, Chili con Carne und Döner-Kebab, das sonst in Hamburg beim Hafengeburtstag oder beim Alstervergnügen präsentiert wird. Rund um die Binnenalster zeigten die Länder an ihren Ständen, was sie so frisch auf den Tisch bringen. Thüringer Bratwurst, Pfälzer Saumagen, Weißwürste aus Bayern, Apfelwein aus Hessen, Flensburger Bügelbier aus Schleswig Holstein und an internationalen Einsprengseln fehlte es durch die Stände der Hamburger Partnerstädte auch nicht. Leningrad war mit Borschtsch und Wodka zur Stelle, Prag zapfte Budweiser und Marseille steuerte Fischsuppe und Wein bei. Dazu auf vier Bühnen Volksmusik, Klassik, Jazz und Rock, sowie Theater und ein Kinderfest. Die Zehntausende, die sich durch diesen Budenzauber zwängten, waren es zufrieden. Und auch die Bettler, die zur Feier des Tages ihre Innenstadt-Plätze bezogen hatten, die an normalen Sonntagen keinen Pfennig bringen.

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