Les Schtroumpfs im Museum

Wer kennt schon — mal abgesehen von Eddie Merckx oder König Baudouin — berühmte Belgier? Indes gibt es Gestalten aus dem Königreich, die weltweiten Ruhm erlangt haben, auch wenn kaum jemand um ihre Herkunft weiß. Es sei denn, er besucht das belgische Comic-Zentrum in Brüssel.

Sie geben sich weltläufig und sind auf Anhieb keiner Nationalität zuzuordnen, wie der Weltenbummler und ewige Nachwuchsjournalist Tintin, in Deutschland bekannt als Tim mit seinem vierbeinigen Begleiter Struppi, oder die blauhäutigen Schlümpfe. Ein anderer waschechter Belgier reitet weltweit als einsamer Cowboy Lucky Luke — in seiner französisch-sprachigen Heimat liebevoll „Lücki Lück“ ausgesprochen — hinter den unverbesserlichen Daltons her. Um die gebührende Würdigung des Comics als typisch belgischen Beitrag zur europäischen Kultur bemüht sich seit zwei Jahren ein Brüsseler Comic-Zentrum, das mehr sein will als ein bloßes Museum und auch Forschern den Weg in die Welt der Sprechblasen eröffnet.

In der Tat waren es belgische Zeichner, die seit Ende der zwanziger Jahre die Comic-Szene in Europa bestimmten. Zum Verdruß der französischen Nachbarn, für die die Belgier beliebtes Objekt von Anzüglichkeiten mit dem geistigen Niveau der Ostfriesen-Witze sind, stammen selbst die Urhelden des französischen Comics, Asterix und Obelix, in gewisser Weise aus Belgien. Die Erfinder der beiden gallischen Helden, Goscinny und Uderzo, verbrachten ihre Lehrjahre beim Altmeister des belgischen Comics, Georges Remi, bekannt unter dem Künstlername Hergé.

„Am Anfang war Hergé...“, könnte man die Geschichte des europäischen Comics einleiten. Als Redakteur der Jugendseite der Zeitung 'Le Vingtième‘ erfand er 1929 den Reporter Tintin, der mit seinen Reportagen aus Amerika und dem Kongo, aus Rußland und selbst vom Mond zur Kultfigur ganzer Generationen vor allem im französischen Sprachraum wurde. Um den Altmeister entwickelte sich eine ganze Schule von Zeichnern, die in teilweise starker Anlehnung an Tintin eine Vielzahl von Figuren entwickelten. Einer der älteren unter den bekannten belgischen Comic-Figuren ist Lucky Luke, den sein Erfinder Morris erstmals 1946 auf sein Pferd Jolly Jumper steigen ließ. In den fünfziger Jahren folgten Franquins Gaston Lagaffe und Peyos Schlümpfe (im Orginal: Les Schtroumpfs). Das Marsupilami, Boule und Bill sowie Europas erste Comic- Zeitschrift 'Spirou‘ sind weitere Beispiele für den Beitrag Belgiens zu dem Genre. „Der Comic ist hier geboren“, resumiert der Direktor des Zentrums, Guy Dessicy. In seinem historischen Teil bietet das Zentrum einen Überblick über die ersten 30 Jahre der europäischen Comic-Geschichte. Dies nicht nur anhand von Ausschnitten und Originalblättern berühmter Zeichner. Zu finden sind auch die Mond-Rakete Tintins, das verstaubte Büro Gastons und — hinter der Saloon-Tür mit einem gezielten Schuß hingestreckt — die Silhouette Lucky Lukes, des einzigen Cowboys, der schneller schießt als sein Schatten. Daneben zeigt das Zentrum, das seit seiner Eröffnung Ziel von 300.000 Besuchern war, die technische Seite der Entstehung des Comics und des Zeichentrickfilms. Zum zweiten Geburtstag des Zentrums wird ab 17.Oktober eine Sonderausstellung über die Szenaristen berühmter Comics eröffnet. „Das sind die Leute, die hinter dem Comic stehen, aber nur wenig bekannt sind“, sagt Dessicy. Berühmtheit und Reichtum sind in der bunten Welt des Comics ohnehin nur schwer zu erreichen. Allein in Belgien und Frankreich sucht eine Schar von jungen Zeichnern jedes Jahr nach einer Chance zur Veröffentlichung ihrer Werke. Selbst wenn ihnen dies gelingt, gehen sie meist in der Flut von 700 Neuerscheinungen pro Jahr unter. „Viel und schnelles Geld ist nicht zu machen“, warnt Dessicy. „Und auch die Großen des Gewerbes haben Jahre gebraucht, ausreichend Geld zu verdienen, um davon leben zu können.“

Die Comic-Freunde haben für ihr Zentrum eines der schönsten Jugendstil-Bauwerke Brüssels vor dem Verfall gerettet: Das 1903 bis 1906 von Victor Horta erbaute Kaufhaus Waucquez. „Das ist eines der wenigen großen Häuser der Zeit, das nicht zerstört wurde“, sagt Dessicy, auch wenn es vor der Rettung mehr als 15 Jahre leer stand. Heute gehört das Comic-Zentrum für Freunde des Humors und der Architektur zum festen Bestandteil jedes Brüssel-Besuchs. Der Erfolg ist derart durchschlagend, daß der belgische Fremdenverkehr 1994 sein ganzes Werbekonzept für ein Jahr auf den Comic als besondere Attraktion des Königreichs konzentrieren will. Bis dahin, so hofft der Direktor des Zentrums, sind nicht nur die ersten 30 Jahre der Comic-Geschichte, sondern auch die neuere Entwicklung der Bildergeschichten auf einer neuen Etage des Hauses der Öffentlichkeit zugänglich. Burkhard Reuß/afp