Let's shred!

■ Die guten alten Skier sind out. Eine Orientierungshilfe für den unerschrocken-unbekümmerten Pistenfan zu noch mehr Schneevergnügen

Die guten alten Skier sind out.

Eine Orientierungshilfe für den unerschrocken-unbekümmerten

Pistenfan zu noch mehr Schneevergnügen.

VON HAGEN BOSSDORF

E

s ist nun hundert Winter her, daß der Polarforscher Fridtjof Nansen Grönland auf Skiern durchschlitterte. Für die 560 eisigen Kilometer verlängerte der Norweger extra herkömmliche Schneeschuhe. Die Welt hielt den Atem an: Es war der erste Triumph der Langlaufskier. Heute sind die „Bretter“ zum unentbehrlichen Freizeitzubehör von Millionen geworden, und Fridtjof Nansen ahnte nie und nimmer, welche Abarten seine Skier hervorbringen würden.

Olympisch: FREESTYLE:

Bei den Olympischen Winterspielen in Calgary 1988 war Freestyle erstmals Demonstrationswettbewerb. Die 45.000 Plätze im Olympic Park waren bereits ein Jahr vorher ausverkauft. So was freut die olympischen Greise des IOC, und prompt hievten sie „Buckelpistenfahren“, „Skiballett“ und „Schanzenspringen“ ins olympische Winterangebot für 1992.

Das Buckelpistenfahren ähnelt dem volkstümlichen Skifahren noch am meisten. Die FahrerInnen müssen möglichst schnell und technisch sauber einen 350 Meter langen, sehr steilen und sehr buckligen Hang bezwingen. Bei der 30-Sekunden-Rütteltour müssen sie mindestens zwei akrobatische Verrenkungen zeigen. Die dazu abgedudelte Musik hören die SportlerInnen sowieso nicht.

Das Spektakel an sich ist das Schanzenspringen . Die Kamikaze-SpringerInnen fahren mit 40 bis 70 Stundenkilometern in den konkav gebogenen, bis zu drei Meter hohen Schanzentisch. Von dort werden sie schwungvoll bis zu 15 Meter hoch und 25 Meter weit hinausgeschleudert. In den zwei Sekunden Flugzeit schaffen Spitzenspringer wie Kanadas Weltmeister LaRoche einen dreifachen Salto mit dreifacher Schraube. Nicht jedermanns Sache.

Beim Skiballett sind wie beim Eiskunstkringeln Musikalität und Choreographie genauso wichtig wie gezirkelte Axel und geschraubte Salti. Der Tanz auf den Skiern dauert ungefähr zweieinhalb Minuten. Laut Wettkampfordnung sollen dabei „die einzelnen Körperteile gemeinsam mit den Stöcken eine natürliche Harmonie ausdrücken“.

So abgedreht sich die neuen olympischen Disziplinen auch anhören, einer gewissen „Massenbasis“ entbehren sie nicht. In den USA, Kanada und Frankreich gibt es bereits jeweils rund 30.000 „arealists“, auf deutschen Hängen ungefähr 2.000. Seit drei Jahren ist das Kunstskifahren unter dem Begriff „Freestyle“ beim Deutschen Skiverband als Sportart anerkannt — mit überaus notwendigen Fachreferenten, Funktionären und einer internationalen Wettkampfordnung.

Hermann Reitberger ist ein Star der Freestyle-Szene. Der 37fache Weltcup-Gewinner im Skiballett wurde im letzten Winter in Lake Placid zwar nur WM-Sechster, aber den Freestyle-Boom vergoldet er weiterhin fleißig. Auf dem Stubaital-Gletscher in 3.300 Meter Höhe vermittelt er das Feeling vom „Freestyle-Skiing“: „Wenn man so einen Kurs absolviert hat, gehört man zu den Formel-1- Fahrern auf der Piste.“

Modern: SNOWSURFBOARD

Endlich konnten die Windsurfer aus dem Wasser krabbeln und unverzüglich in die Berge klettern, weil sie ein winterliches Pendant zu ihrem Sommerhobby gefunden haben. Zu olympischer Anerkennung haben Snowboarder und Snowsurfer noch nicht gewedelt, aber ihre eigenen Weltcup-Rennen haben sie seit zwei Jahren. Rund 50.000 Schneefreaks hat mittlerweile das Gleitfeeling gepackt. Während sich die Snowboarder quer auf ein breites Brett schnallen, stellen sich die Snowsurfer auf eine bewegliche Standplatte mit zwei kurzen Skiern darunter.

In den USA kennt man dieses Vergnügen bereits seit zwanzig Jahren. Aber der Durchbruch in der Skiszene gelang erst mit den zweikufigen „Swingbos“, einer Erfindung zweier Brüder aus dem Sauerland. Da wird die Rutschpartie vom Idiotenhügel wieder zum Abenteuer. Typen wie Herby Buchhofen, der den Snowsurf-Speed-Weltrekord mit 123 Stundenkilometern hält, und Fuzzy Garhammer boarden und surfen längst für ihren Lebensunterhalt als Profis oder betreiben eines von über hundert Snowboard-Instituten. Die Umgangssprache zwischen ihnen ist Szene-Cockney, man begrüßt sich mit „Let's shred“, was etwa heißen soll: „Laß uns den Schnee bügeln“.

Umstritten sind die Snowboarder und -surfer wegen ihres verkümmerten Umweltbewußtseins. „Die fahren grundsätzlich neben der markierten Piste“, sorgt sich ein Fachwart vom DSV. Deshalb wird diese Sportart in der Bundesrepublik auch nicht gefördert, da es zuwenig baumfreie Flächen gibt.

Windig: HELI-SKIING

Wem der Hang bei Garmisch nicht genügend hängt, wem die Buckelpiste am Schindlerkar zu viel buckelt, der sucht sich in der Höhe einen Tiefschneehang. Die Tiefschneefahrer wollen schneesichere Gegenden mit steilen Abfahrten, die vor allem eins sein müssen: unberührt. Wenn sich Tausende Skiläufer allmorgendlich aus den Herbergen und Appartements auf die Pisten wälzen, machen sie die Flocke.

Am liebsten per Hubschrauber, denn Heli-Skiing ist der große Renner. Im Himalaya kamen gewiefte Reiseveranstalter mit ihren geldschweren Kunden zuerst auf die Idee. Indiens ehemaliger Premierminister Rajiv Gandhi, vor seiner Ermordung selbst ein begeisterter Skifahrer, mußte höchstpersönlich dem Touristikminister von Kaschmir erlauben, bestimmte Gebiete für Heli-Skiing freizugeben. Wer überdurchschnittliche Kondition und Erfahrungen im halbtiefen Pulverschnee mitbringt, kann sich dann mit dem Heliokopter in die Höhe bringen lassen, um per Skier wieder ins Tal zu düsen.

Inzwischen kann man sich dieses höhenluftige Vergnügen auch in den italienischen Alpen, den US-amerikanischen Rocky Mountains oder dem sowjetischen Kaukasus leisten, wenn man es sich leisten kann. Ein Prospekt wirbt vergnügt: „Das Irre ist, im Kaukasus war wirklich noch niemand.“

Idiotisch: HIGH-SPEED-SKI

Die Piste ist 1,7 Kilometer lang, 25 Meter breit, ihre Neigung beträgt 96 Prozent. Es sind die „Selbstmörder“ unter den Skihasen, die sich regelmäßig in die Gefahr des High-Speed-Skifahrens begeben. 1931 fuhr der Italiener Leo Gaspari in St.Moritz auf Skiern 136 Stundenkilomter schnell. Er wäre heute die Pisten-Schnecke, denn etwa ein Dutzend Skifahrer zählen sich zum erlauchten Kreis der 200-Stundenkilometer-Piloten.

Im Oktober 1987 verbesserte der Franzose Michael Prufer im chilenischen Portillo die Bestmarke auf unglaubliche 217,68 Kilometer pro Stunde. Bei knapp 240 Stundenkilometern dürfte die von der Natur gesetzte Grenze liegen, denn schneller fliegt auch ein Fallschirmspringer im freien Fall nicht. Diese Marke wollen die High-Speedler angreifen. „Ein Turmfalke kann schneller stürzen, als es der freie Fall erlaubt“, erklärt Österreichs fünffacher Weltmeister Franz Weber, „und was ein Vogel kann, schaffen wir auch.“

Zur High-Speed-Ausrüstung gehören neben dem Helm extrem unbiegsame Spezialskier, Wadenspoiler, eine luftundurchlässige Kombination und bizarr geschwungene Stöcke, die der Pilot zur Steuerung benutzt. High-Speed-Skifahren kann man inzwischen in den Alpen, den Anden, in Japan und den USA. Franz Weber und der Finne Kalevi Hakkinen genießen dabei einen besonderen Ruhm: sie sind die einzigen Menschen, die Stürze bei mehr als 200 Stundenkilometern überlebt haben.

Lustig: SONSTIGES

Empfehlenswerter sind schon deshalb andere Skisport-Disziplinen, weil bei ihnen eine Überlebenschance vorhanden ist. Beim Kurzskifahren kehrt man zu den Ursprüngen der Bretter zurück. Denn die 65 Zentimeter kurzen Rutscher ähneln wieder sehr den urtümlichen Schneeschuhen. „Figln“ nennt man diese Disziplin in Österreich und liebt sie, weil's so leicht geht. Lediglich die Regulierung der Geschwindigkeit erfordert etwas Übung, weil die Bremswirkung durch Querstellen der Skier nur schwach ist.

Beim Snow-Rafting muß man kaum noch etwas alleine machen. Ein Rafting Track, ein Schnee-Floß, wird per Seilwinde auf einen Hang gezogen und mit sechs bis acht Personen beladen. Dann schubbert das Rafting-Boot die wannenförmige Piste nach unten und auf der anderen Seite wieder hoch. Die Abfahrtshöhe und damit die Länge des Gaudis kann beliebig gesteigert werden. Snow Rafting wird bisher auf dem österreichischen Kaunertal-Gletscher angeboten.

Bleibt schließlich noch eine Wintersportart, die seit Jahren gegen ihr antisportlich-altertümliches Image ankämpfen muß: das Rodeln. Aber der Präsident des Deutschen Schlittensportverbandes, Klaus Kotter, hat beobachtet: „Je voller die Pisten und Skilifte werden, desto mehr suchen Wintersportler nach Alternativen.“ Die finden sie auch auf über 30 Spezial-Rodelbahnen mit mehr als 500 Metern Länge. Auf der Kunsteisbahn Königssee werden inzwischen sogar Platzkarten ausgegeben. Und in Bad Goisern im oberösterreichischen Salzkammergut kann man Rodeln sogar im Schnellkurs erlernen. Es heißt ja auch: Ski und Rodeln gut.