Gegen Chaos und Desintegration

Zwölf Republiken der UdSSR erklären sich bereit, in wirtschaftlichen Fragen zusammenzuarbeiten  ■ Aus Moskau K.-H. Donath

Endlich kann Moskau wieder einmal mit einer Erfolgsmeldung aufwarten. In Alma-Ata, der Hauptstadt Kasachstans, einigten sich Vertreter aus zwölf Republiken und der neue sowjetische Premier Iwan Silajew, gleichzeitig Vorsitzender des „Interrepublikanischen Wirtschaftskomitees“, das die UdSSR für eine Übergangszeit durch die wirtschaftliche Talsohle bugsieren soll, auf ein konzertiertes Vorgehen. Doch wie immer, wenn es um Fragen der Union geht, ist höchste Vorsicht geboten. Der optimistischen Interpretation des Abschlußdokumentes durch den sowjetischen Premier steht ein wesentlicher Faktor im Wege: Noch birgt das Dokument keine Verbindlichkeit, es ist lediglich eine Absichtserklärung. Bis zum 15. Oktober soll die Unterzeichnung eines Vertrages endgültig unter Dach und Fach sein. Eingedenk des sowjetischen Entwicklungsrhythmus: dort wo sich substantiell nichts bewegt, kann sich innerhalb von zwei Wochen viel tun, sind gedämpfte Hoffnungen kein Ausdruck misanthroper Beckmesserei.

„Die einzige Garantie gegen die chaotische Desintegration des Landes“, meinte Silajew nach den Gesprächen. Darin dürften ihm alle Teilnehmer beigepflichtet haben. Doch als eine neue Erkenntnis, der Läuterung folgt, läßt sie sich kaum verkaufen. Unabhängig vom Willen der Republiksführer müßten einem Vertrag auch die Parlamente der einzelnen Republiken zustimmen. In seiner jetzigen provisorischen Form ist das mehr als fraglich. Die Verhandlungspartner einigten sich auf Gemeinsamkeit bei der Schaffung eines Bankwesens, des Handels, der Besteuerung, des Zollsystems, der Energie- und Transportpolitik. Privatisierung soll unionsweit legalisiert werden.

Auch das nach Ansicht Silajews „konstruktive“ Klima der Verhandlungen kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß „das Treffen in Alma- Ata ein Nullergebnis produzierte“, wie es ein ukrainischer Verhandlungspart formulierte. „Wir täten besser daran, unsere Illusionen aufzugeben. Die Unterzeichnung eines gemeinsamen Wirtschaftsabkommens ist alles andere als eine leichte Übung.“ In der Ukraine, nach der Russischen Föderation der wichtigsten und wirtschaftlich stärksten Republik, wird das gerade in letzter Zeit radikalisierte Parlament dem Vertrag so nicht zustimmen. Entscheidender Punkt der Unzufriedenheit ist die nach wie vor ungeklärte Frage des Verhältnisses zwischen einzelnen republikanischen Nationalbanken und der Zentralbank sowie neuen kommerziellen Geldinstituten. Die Republiken orteten in dem jetzigen Entwurf Momente, die der Logik souveräner Staaten zuwiderlaufen. Die Währungsfrage scheint soweit nicht geklärt. Die Ukraine plante bisher, eine eigene Währungseinheit herauszugeben. Eine Kopplung an Moskau würde aber erneut einen fixen Umrechnungskurs bedeuten, der die ganze Übung überflüssig machte. Widerstand wurde auch laut bei der Frage der gemeinsamen Schuldentilgung und des neuen Unionsbudgets. Dem Vorstoß des russischen Ökonomen Jawlinski, einen Haushalt zu schaffen, der im Großteil seiner Posten nicht sachgebunden ist, sondern den Löwenteil wieder den Unionsgremien zur freien Verfügbarkeit läßt, stieß auch auf Mißtrauen. Auch wenn ein Vertrag angesichts der Versorgungsengpässe des kommenden Winters unterzeichnet wird, seine Koordinaten werden sich nochmals verschieben.