Die Götter treten ab

■ Schmidt. Das gnadenlose Varietéprogramm, Samstag, N3, 22 Uhr

Einen historischen Moment lang war das Leben erträglich. Die anderen hatten die Hitparade, den Musikantenstadl und den Grand Prix d'Eurovision. Wir hatten Schmidts. Sie waren unsere Götter, jede Sendung eine Offenbarung. Kein Stern strahlte heller als Marlene Jaschke, jene Frau aus der Flötengruppe der Trinitatis-Gemeinde. Kein Schuhwerk prägte unser Modeempfinden so nachhaltig wie Schmidtchens Gießkannentreter. Die Citymobil- Benutzer unter uns stärkten sich an Lilos abgebrühter Nonchalance. Ja, einen Moment lang gab es ein richtiges Leben im falschen.

Dann kam die Sommerpause, Schmidts zogen in ein repräsentatives Haus; folgerichtig kam an diesem Samstag der Absturz. Frau Jaschke erschien nur sporadisch als Garderobenfrau, hatte offensichtlich an der Last des plötzlichen Ruhmes zu tragen. Zudem versuchte Frau Wanders ihr die Show zu stehlen, tauchte leicht kenntlich als eine Dame der Hamburger Gesellschaft auf, jedoch ohne die mannigfachen Feinheiten, die Marlene Jaschke zum Leben erweckten, wie etwa das Handtaschenknipsen, das Kniekratzen, die Fernsehgrüße. Als Herr Schmidt sich schließlich nicht entblödete, die Ausschreitungen in Hoyerswerda zu verurteilen und einige der dünnsten Kohl-Witze zu reißen, schwante Schlimmes. Wie von allen guten Geistern verlassen quälte man sich durch die Show, ließ Akrobaten aufgaloppieren, machte Werbung für dieses oder jenes Theater. Als dann zu böser Letzt noch das Ensemble des Lüneburger Stadttheaters einen Song aus Jesus Christ Superstar vortrug, war eine ganze Kultur verraten und verkauft.

Schmidt hatte sich immer als Anwalt der bedrohten Volksmusik, des bedrängten Schlagers hervorgetan. Wer jemals auf St.Pauli trank, in Neuköllner Kneipen Lieder sang, hatte hier eine Zuflucht. Nun aber kamen Ostberliner Klamaukpreußen auf die Bühne und brüllten gottverlassen herum. Herr Friedhelm, noch nie der hellsten Menschen einer, verwickelte Frau Dr.Sabine Bergmann-Pohl in ein klägliches Polit-Interview, „...ein Thema, das wir ernsthaft diskutieren müssen, weil letztendlich...“; und nicht einmal Frau Jaschke konnte rettend eingreifen. Wenn nicht Tamara Press gewesen wäre, die Joop-Kreation eines Stasi-Kostüms, und eine Mitesserpumpe präsentiert hätte, wären wohl viele von uns endgültig vom Glauben an das Gute im Menschen abgefallen.

Lilo wiederholte ihre alten Seniorenermunterung „Lassen sie sich nicht mit gedecktem Pflaumenkuchen und Kaffee Hag abspeisen!“ und prägte die wundervolle Lebensweisheit „Nicht der Tod ist das Ende, der Weg ist das Ziel“; doch das kam leider viel zu spät. Schmidts sind ins Mittelmaß gerutscht, unser Götterhimmel steht wieder leer, und Hamburg ist doch nicht das Gelbe vom Ei. Berliner Kulturfreunde werden sich also wieder dem Offenen Kanal zuwenden müssen. Olga O'Groschen