: Zur Belohnung gibt es alte Schuhe
Ronny Weller aus Marxwalde, einst „Stärkster Pionier der DDR“, wurde als Vize-Weltmeister im Gewichtheben von seinem eigenen Fanclub gefeiert und bedankte sich mit partiellem Striptease ■ An der Hantel Hagen Boßdorf
Donaueschingen (taz) — Als Ronny Weller noch in Marxwalde wohnte, über das fast täglich die Flieger des dort stationierten Jagdgeschwaders der Nationalen Volksarmee düsten, da durfte er auch noch Mitglied der Pionierorganisation sein. Dieser sozialistischen, heute natürlich als doktrinär-inhuman zu bezeichnenden Kinderorganisation verdankt das große Deutschland nun einen Vize- Weltmeister im Gewichtheben. Denn 1983 wurde der 14jährige Knabe Ronny „Stärkster Pionier der DDR“, weil er den größten kindlichen Sportwettbewerb der Welt gewonnen hatte.
Ronny Weller fand soviel Freude und Spaß an der schweißtreibenden Kraftarbeit, daß er fortan unermüdlich seine Muskeln stählte. In Marxwalde, wie es damals immer noch hieß, gab es nämlich eine kleine Gewichthebergruppe, die — welch ein Zufall — von Günther Weller geleitet wurde, der im privaten Leben Ronnys Vater war. Das Sportlerleben des kleinen Weller nahm seinen sozialistischen Gang: Ronny wurde zur Kinder- und Jugendsportschule des Armeesportklubs Frankfurt/Oder delegiert, die damals noch nach dem ermordeten Antifaschisten Fritz Lesch benannt war. Trotzdem wurde Ronny Weller stärker und stärker und Junioren-Weltmeister 1987. Da war er gerade 18 und in Marxwalde, wie das Nest immer noch hieß, wuchs die Zahl seiner stolzen Fans.
Der Athlet Weller erfreute seine Dorfmitbewohner schließlich noch mit einer olympischen Bronzemedaille hinter dem sowjetischen Herkules Juri Sacharewitsch und einem weiteren Weltmeistertitel bei den Junioren. Ein Jahr später wollte der Jugendliche Weller es bereits den Männern zeigen. Er wurde Weltmeister im Reißen, versagte aber nervlich in der stoßenden zweiten Disziplin und schied aus. Das war ja auch 1989, und das Leben in der DDR verließ seine geordneten Bahnen. Über Marxwalde, wie es noch für kurze Zeit hieß, flogen keine Düsenflieger mehr. Der Armeesportklub verließ die Nationale Volksarmee fahnenfluchtartig Richtung Bundeswehr. Und auch Ronny Weller wurde von Katastrophen nicht verschont.
Sein Dörfchen Marxwalde war seinen Namen nicht mehr wert. Der Wald stand zwar noch, aber Marx fiel, und die Bürger kehrten zum monarchistischen Namen Neuhardenberg zurück. Das war zu verschmerzen. Nicht so der schwere Verkehrsunfall mit Vaters Auto, der Ronny die gerichtliche Unschuld (anderthalb Jahre Bewährung) und seiner Freundin das Leben raubte. Der Gewichtheber Weller lag viele Wochen im Krankenhaus, sah acht Monate lang keinen Kraftraum, ließ sich das Schienbein operieren und begann erst im März 1991 wieder mit ernsthaftem Gewichthebertraining.
Nur ein halbes Jahr später kam Ronny Weller wieder dort an, wo er sich vor zwei Jahren verabschiedete: in der Weltspitze. Der 22jährige, 105 Kilogramm schwere Recke hievte 190 Kilogramm im Reißen, 230 Kilogramm im Stoßen und damit 420 Kilogramm im Zweikampf in die Höhe. Im postanabolen Zeitalter des Gewichthebens war er nie stärker. Drei neue bundesdeutsche Rekorde, die mit genauso vielen Silbermedaillen belohnt wurden. Der 24jährige Artur Akojew (UdSSR) war stärker, konnte aber Ronny Wellers Jubel nicht verringern: Der stärkste Mann aus Marxwalde, wie es nun nicht mehr heißt, schleuderte seine ausgelatschten Heberschuhe in die Reihen seines mitgereisten fünfzigköpfigen Fanclubs aus Neuhardenberg. Die hocherfreuten Mitbürgerinnen und Mitbürger nahmen die „Gurken“ dankbar auf und werden sie wohl als Trophäe in ihre heimische Schrankwand stellen.
„Das war einfach eine Emotion, die raus mußte“, erklärte Vize-Weltmeister Weller später die Verschwendung von Sportmaterial. Der Soldat der Bundeswehr schaut in die Zukunft: „In Barcelona will ich die alten Lasten von 445 Kilogramm im Zweikampf wieder schaffen.“ Vergessen sind die zwischenzeitlichen Entgleisungen. Das Leben von Ronny Weller hat seinen gewohnten Weg wiedergefunden.
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