Reisefreiheit für binationale Kinder

Europäischer Fachkongreß forderte Anerkennung der UN-Kinderkonvention/ Ausländerrecht setzt binationale Partnerschaften unter Druck/ Sorgerecht soll für beide Eltern gesichert werden  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Qualifiziert, konzentriert und komprimiert waren Referate und Diskussionen am Wochenende in Frankfurt während des Europäischen Fachkongresses Internationale Kindesmitnahme — Ursachen und Prävention. Hinter dem schlichten Titel verbirgt sich zum einen ein juristisch komplizierter Disput um die Anwendung des Europäischen und des Den Haager Sorgerechtsabkommens, beide hierzulande gültig seit Jahresfrist, und um die UN-Kinderrechtscharta, die bisher von der Bundesrepublik nicht anerkannt ist. Zum anderen war umzugehen mit den Ängsten der Menschen aus gescheiterten binationalen Ehen davor, daß der Partner die gemeinsamen Kinder ins jeweilige Ausland entführt oder durch die neuen Gesetze gar das Recht zur Mitnahme hat.

Ausländische TeilnehmerInnen klagten die deutschen Gerichte immer wieder bitter an, bisher, ungeachtet der Rechtslage, einseitig für den deutschen Elternteil zu entscheiden. Dies schaffe erst eine Atmosphäre des Mißtrauens und der Vorurteile zwischen den Eheleuten und führe zu Kurzschlußhandlungen. Dazu Professor Fritz Sturm aus Lausanne: „Deutsche Gerichte lassen deutsche Kinder nicht ins Ausland.“ Rose Rupprecht, im US-Generalkonsulat zuständig für solche Konfliktfälle, stellte fest: „Amerikanische Väter sind für deutsche Gerichte, wenn sie bei der Verhandlung nicht anwesend sind, so gut wie tot.“ Sie räumte aber auch ein, daß das Haager Abkommen auch in den USA oft rüde umgangen werde.

Mütter von Algier

Wie andere Teilnehmerinnen richtete auch die Leiterin des Frankfurter Amtes für multikulturelle Angelegenheiten, Rosi Wolf-Almanasreh, schwere Vorwürfe gegen die deutsche Politik. Die Ausländergesetze, die die ausländischen Partner durch die Beschränkung des Aufenthaltsrechtes oder die Ausweisung nach der Scheidung von ihren deutschen Lebensgefährten abhängig machten, bildeten schon vor der Geburt von Kindern, und erst recht danach, den Ausgangspunkt für menschliche Tragödien.

Als konkretes Beispiel und Orientierungsrahmen diente der Versammlung ein Abkommen, das — unbesehen aller Unzulänglichkeiten — 1988 zwischen Algerien und Frankreich zustande kam. Es stellt das Recht der Kinder auf beide Eltern in den Vordergrund. Roby Bois, französischer Berater in Algerien, verglich es in seinem Vortrag mit einem Film, bei dem sich die Kamera „in Kindeshöhe“ bewege. Er wehrte sich dagegen, Kinder „zu Geiseln im nachehelichen Kriegsspiel“ zu machen. Ein „mitgenommenes oder entführtes Kind“ sei immer das Opfer der Erwachsenen und zweier Leidensgeschichten: „Das Kind hat seinen Platz verloren.“ Das Abkommen versuche, Besuchs- und Sorgerecht im Einvernehmen zwischen unterschiedlichen Rechtssysteme zu regeln. Das Kind solle „unbeschwert von einem Ufer des Mittelmeeres zum anderen reisen“ können. Er mahnte, daß das Scheitern einer Ehe nicht die lebenslange Verantwortung der Elternschaft aufheben könne. Zustande gekommen war das Gesetz durch öffentliche Proteste von französischen Frauen, den „Müttern von Algier“. Den Aufenthaltsort ihrer Kinder hatte bis dahin nach algerischen Recht nur der Vater zu bestimmen. Fazit sei, daß es vor dem Abkommen jährlich etwa 30 Mitnahmen gegeben habe, seit 1988 aber keine mehr bekannt geworden sei. Dennoch sei das Abkommen durch Einzelfälle der legalen Umgehung an seine Grenzen gekommen und inzwischen nachgebessert worden. Gerichtsstand ist jetzt der „gemeinsame Familienwohnsitz“ vor der Trennung. Der dortige Richter entscheidet und ist verpflichtet, „internes und grenzüberschreitendes Besuchsrecht“ zu gewähren.

Die 120 TeilnehmerInnen aus 15 Ländern einigten sich gestern Vormittag auf eine gemeinsame Resolution. In elf Punkten forderten sie u.a. die Abkoppelung des Aufenthaltsrechtes vom Bestand der Ehe. Auch nach Trennung oder Scheidung sollen beide Eltern den Kontakt zum Kind aufrecht erhalten können. Dies müsse auch Ausgangspunkt aller familienpolitischen Entscheidungen sein. Außerdem verlangten sie die vorbehaltlose Ratifizierung der Kinderkonvention der UN, die das Recht der Kinder auf beide Eltern ausdrücklich festschreibt. Unabdingbar sei außerdem das „konsequente Eintreten gegen jede Form von Sexismus und Rassismus“, festgeschrieben durch ein Antidiskriminierungsgesetz.