Nazi-Familien-Programm

Berlin (taz) — Das Deutsche Fernsehen scheint überaus zeitgeistbewußt auf die Stimmung des Volkes zu reagieren. Um heimlich die herrschende Ausländerfeindlichkeit und das deutsch-nationale Selbstbewußtsein zu stärken, strahlte die ARD jedenfalls am Sonntag nachmittag „Das Mädchen Marion“ aus.

Das Herstellungsdatum — 1956 — kaschierte nur mühsam die faschistoide Grundhaltung des „Melodrams“, dessen eigentlicher Titel Preis der Nationen war. Die verwitwete Gutsbesitzerin Vera von Hoff muß mit ihrer Tochter Marion ihren ostpreußischen Hof verlassen. Bevor sie geht und damit, wie sie sehr soldatisch kundtut, ihr „Recht auf Heimat“ verwirkt hat, bekommt Töchterlein Marion von einem sterbenden Offizier den Hengst „Prusso“ geschenkt, dessen Vater „Wotan“ daeinst in Rom den „Preis der Nationen“ gewonnen hat. „Zeig deinen Mut, Trakehnerblut“ — diese Zauberformel auf den Lippen des Entschlafenden verrät Marion, wie ostpreußisches Blut zum Sieg gelangt.

Mutter und Tochter finden — sauber und arbeitswillig, wie sie sind — in Niedersachsen eine neue Heimat. Dort versuchen ein paar polnische Halunken — analog zu den „Autoschieberbanden“ unserer Tage —, den edlen Hengst zu stehlen. Prusso entkommt den polnischen Tierquälern mit Hilfe deutscher Tierfreunde und läuft zurück zu Marion. Beim zweiten Klauversuch rettet der wie ein dicker Goebbels aussehende Tierarzt den Hengst — die schmachtende Liebe von Tochter und Mutter ist ihm gewiß. Der Arzt gewinnt der Mutter Herz, als er ihr ein Stückchen Seife (Sauberkeit!) schenkt. Ersatzweise für den entgangenen geliebten Tierarzt darf Tochter Marion mit „Prusso“ ins Trainingscamp der Nationalmannschaft. Der junge Dietmar Schönherr soll Prussos Reiter sein; von Pferd und Marion ist er gleichermaßen begeistert; kein Wunder, denn „sie sind beide gute Rasse. Erst trotzig, aber die zähm' ich schnell.“ Beide werden mit gleichen Mitteln dressiert: Prusso, bislang noch ungeschlagen, bekommt die Peitsche, Marion, empört darüber, daß man ihr Pferd schlägt, wird mit zwei Kußszenen, die kaum kaschierte Vergewaltigungen sind, erobert. „Zum Lieben gehört manchmal ein bißchen Härte“, erklärt der Reiterpräsident, neckisch mit seiner Peitsche wedelnd. Schönherr bekommt Marion und siegt für Deutschland, nachdem Marion Prusso die Zauberformel — „Zeig deinen Mut, Trakehnerblut“ — als Vermächtnis des untergegangenen Dritten Reichs ins Ohr geflüstert hat.

Daß Das Mädchen Marion nicht nur ein quasi quotiertes Bonbon für die Faschisten (6 Prozent Faschistenfilme, um auch die völkischen Minderheiten zu berücksichtigen) im neuen Gesamtdeutschland ist, können wir nur vermuten; gegen den Proporz empfehlen wir jedoch, den Programmverantwortlichen aus der öffentlich-rechtlichen Anstalt in eine der rechtsradikalen Parteien wegzuloben. Dorothee Wenner/

Detlef Kuhlbrodt