Milliarden gegen sowjetischen Hungerwinter

■ EG gewährt UdSSR weitere 2,5 Milliarden Mark als Kredit/ Die anderen Industriestaaten sollen sich ebenfalls beteiligen/ Deutschland und Großbritannien lehnen gleichzeitig einen Schuldenerlaß zugunsten der ärmsten 69 Entwicklungsländer ab

Luxemburg (afp/taz) — Die Europäische Gemeinschaft gewährt der Sowjetunion weitere Nahrungsmittelhilfe in Form von Krediten über 1,25 Milliarden Ecu (2,5 Milliarden Mark). Mit dem Geld soll es der Sowjetunion ermöglicht werden, im kommenden Winter Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt zu kaufen, sagte der niederländische Finanzminister Wim Kok gestern beim Treffen der EG-Finanzminister in Luxemburg. Die EG hat bereits 250 Millionen Ecu an Zuschüssen und 500 Millionen an Kreditgarantien für die sowjetische Nahrungsmittelversorgung gewährt. Diese Mittel sind zum Teil auch schon in die Sowjetunion geflossen. Die EG-Finanzminister erwarten, daß sich auch die anderen westlichen Industriestaaten an der Hilfe für die Sowjetunion beteiligen, sagte der niederländische Finanzminister, dessen Land derzeit den Vorsitz im EG-Ministerrat führt. Ein gemeinsames Vorgehen könnte bereits am Wochenende im Vorfeld der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank in Bangkok beraten werden. Die EG will dabei erreichen, daß die USA und Kanada sowie Japan jeweils den gleichen Betrag aufbringen wie die Europäische Gemeinschaft.

Nach westlichen Schätzungen braucht die Sowjetunion im kommenden Winter Nahrungsmittel im Wert von zwölf Milliarden Mark, die so zusammenkommen könnten. Aus Moskau selbst war die benötigte Hilfe zunächst auf 24,5 und später auf 17 Milliarden Mark geschätzt worden. Die EG macht ihre Hilfe allerdings davon abhängig, daß die Versorgungswege in der Sowjetunion so weit verbessert werden, daß die Lebensmittel tatsächlich bei den Bedürftigen ankommen. Die EG-Finanzminister wollen außerdem, daß ein Teil der Kredite dazu verwendet wird, Nahrungsmittel in den osteuropäischen Staaten zu kaufen, damit auch die wirtschaftliche Lage dieser Länder durch die Hilfsaktion verbessert wird.

Verbessert wird so allerdings auch nebenbei die Lage der Bauern in der EG. Denn die Nahrungsmittel, die jetzt mit EG-Geld in Osteuropa für die Sowjetunion gekauft werden, sollen von der Menge der Agrarprodukte abgezogen werden, die Polen, die CSFR und Ungarn in diesem Jahr in die EG einführen dürfen. Dieses geschickte Manöver hatten die EG- Agrarminister bereits in der vergangenen Woche vollzogen.

Am Samstag war bereits der Vertrag zwischen der Sowjetunion und dem IWF über eine assoziierte Mitgliedschaft unterzeichnet worden, die dem Land zwar technische Hilfe, aber nicht den Zugriff auf Kredite gewährt.

Kein Schuldenerlaß für die Dritte Welt

Auf der gleichen Sitzung der EG-Finanzminister haben gestern Bundesfinanzminister Theo Waigel und sein britischer Amtskollege Norman Lamont einen Schuldenerlaß zugunsten der ärmsten Länder der Welt verhindert. Die beiden Minister blockierten in Luxemburg einen Vorschlag der EG-Kommission, die Schulden der Länder Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP) gegenüber der Zwölfergemeinschaft von insgesamt drei Milliarden Ecu (sechs Mrd. DM) zu streichen. Nach Angaben eines Kommissionssprechers hätten die Minister vorgeschlagen, die Schuldenfragen einzeln von Land zu Land zu bewerten. Zusätzlich zu den Verbindlichkeiten bei der EG haben die 69 AKP-Länder noch über 125 Milliarden Ecu Schulden bei den einzelnen EG-Staaten. dri