Vertrag mit der CSFR endlich abgeschlossen

Bundesrepublik vermied Nichtigkeitserklärung des Münchner Abkommens „ex tunc“/ Ansprüche der Sudetendeutschen ausgeklammert/ „Vertreibung“ im Vertragstext/ Großzügige Minderheitenregelung/ Zeit für Initiativen „von unten“  ■ Aus Berlin Christian Semler

Deutsche, Tschechen und Slowaken sollen künftig gute Nachbarn sein und freundschaftlich zusammenarbeiten. So will es die Überschrift des Vertrags, den Hans-Dietrich Genscher und Jiri Dienstbier gestern paraphierten. Die Verhandlungen erwiesen sich als zäh und langwierig, standen sie doch unter dem Schatten einer bitteren Vergangenheit: der Zeit von der Zerschlagung des tschechoslowakischen Staates 1938/39 bis zur Aussiedlung der Deutschen aus Böhmen 1945/46. In der Präambel des Vertrags wird die Nichtigkeit des Münchner Abkommens, das zur Abtrennung des „Sudentengaus“ führte, bekräftigt. Wie schon beim „Prager Vertrag“ von 1973 konnte sich die Bundesregierung nicht dazu durchringen, den Vertrag als „von Anfang an“ ungültig anzusehen. Das Angebot Vaclav Havels, einen dicken Schlußstrich zu ziehen und sowohl die Entschädigungsansprüche der Sudetendeutschen wie Reparationsforderungen der tschechoslowakischen Seite zu begraben, blieb unbeachtet. Auch durchkreuzte, wie schon im Fall Polens, die deutsche Seite alle Bemühungen, den Zwangsarbeitern und den von den Nazis verfolgten Tschechen und Slowaken wenigstens eine kleine Aufbesserung ihrer Rente zu gewähren.

Die Präambel spricht von den zahlreichen Opfern, die die Herrschaft der Gewalt, des Kriegs und der Vertreibung gefordert haben. Indem die tschechoslowakische Regierung dem Begrifff der Vertreibung zustimmte, paßte sie sich keineswegs an die Rechtspositionen der Sudetendeutschen Landsmannschaft an. Vielmehr hat sich innnerhalb der demokratischen Kräfte der Tschechoslowakei nach einer über ein Jahrzehnt währenden Debatte ein Konsens durchgesetzt, den der Historiker Karel Kaplan so formuliert hat: „Die tschechoslowakische Politik begründete ihre Lösung des Problems der Bürger deutscher Nationalität durch Massenvertreibung mit der Kollektivschuld aller Sudetendeutschen. Dieses Prinzip ist im Grundsatz falsch, ohne Ansehen der Form, in der es angewendet wird. Es widerspricht einer demokratischen Politik gegenüber Minderheiten, weil es alle Angehörigen rechtlos macht und sie bestraft, weil es keinen Unterschied macht zwischen Unschuldigen und Schuldigen. Dieses Prinzip bedeutet die absolute Vorherrschaft der Herrschernation über die Minderheit.“ Für die Rückendeckung durch Stalin zahlte die Exilregierung Eduard Benes einen hohen Preis: Sie lieferte die Tschechoslowakei der Sowjetunion aus. Die Vertreibung der Deutschen aus Böhmen, so Vaclav Havel in seiner berühmten Rede vom Juni 1990, stumpfte das Gewissen der Nation ab und machte sie ohnmächtig gegenüber dem Putsch der Stalinisten vom Januar 1948. Wenn die Tschechen mit sich und ihrer Geschichte ins reine kommen wollten, reiche es nicht aus, die eigenen Verbrechen mit den vorangegangenen, viel scherwiegenderen des Nazifaschismus zu entschuldigen. Das Tabu „Vertreibung“ müsse gebrochen werden.

In den Artkeln 18 und 19 des Vertrages versuchen beide Regierungen, mit einer großzügigen, an den KSZE-Maßstäben orientierten Minderheitenregelung späte Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Ausdrücklich werden nicht nur Individual- sondern auch Volksgruppenrechte gewährt. Zur Minderheit soll der gehören, der sich ihr zugehörig fühlt. Ungewiß ist allerdings, welche praktische Relevanz diese Regelungen haben. Im Gegensatz zum polnischen Oberschlesien gibt es in Böhmen keine deutschen Siedlungsgebiete mehr. Die über 100.000 nach 1968 in die Bundesrepublik emigrierten Tschechen und Slowaken aber haben überwiegend die deutsche Staatsbürgerschaft. Um sie wird sich künftig das Referat „Landsleute“ kümmern, das bei der Botschaft der CSFR in Bonn eingerichtet worden ist und das laut Vertrag von den deutschen Stellen bei seiner Arbeit unterstützt werden wird.

Der Vertrag betont, daß der tschechoslowakische Staat seit 1918 nie aufgehört hat zu existieren. Damit ist Hitlers slowakischem Satellitenstaat nachträglich die völkerrechtliche Legitimation bestritten. Wenn seitens der slowakischen Regierung dieser Passus kritisiert wird, desto schlimmer für die slowakischen Nationalisten.

Verträge müssen, so heißt die schöne Phrase, mit Leben erfüllt werden. Trotz der intransingenten Haltung der Sudetendeutschen Landsmannschaft haben dieses Jahr viele Deutsch-Böhmen ihre Heimat besucht und eine Reihe von Hilfsinitiativen gestartet. Der Idee der Euro-Regionen folgend, haben im „Dreiländereck“ Sachsen, die böhmische Nordregion und Dolny Slansk (Niederschlesien) Nachbarschaftsverträge geschlossen. Die tschechische Sektion der Helsinki- Bürgerversammlung verfolgt die Idee von Bürgerbegegnungen entlang der Grenze. Schon zu DDR-Zeiten gab es einen illegalen Verbund von Öko-Gruppen der Region, der unverdrossen seine Arbeit fortsetzt. In Liberec soll eine dreisprachige Universität gegründet werden. All dies erfordert nicht nur Geld, sondern das Engagement der Bürger. Auf seiten der CSFR ist es vorhanden.