Tudjman fordert US-Truppen-Einsatz

■ Bombenangriffe auf Zagreb und auf den Regierungspalast fordern Kriegsszenarien heraus/ Slowenien und Kroatien wollten gestern nacht die Unabhängigkeit vollziehen

Berlin (taz) — Jetzt ist geschehen, was trotz des fortschreitenden Krieges zwischen Serbien und Kroatien kaum jemand für möglich gehalten hatte: Bomben fallen auf Zagreb, auf das Regierungsviertel der kroatischen Hauptstadt. Das Dach des Präsidentenpalais wurde gestern nachmittag 15.05 Uhr von einer Bombe zerstört. In den umliegenden Gebäuden sind das Parlament, wichtige Behörden und das Informationsministerium untergebracht. Da während der vorausgehenden Bombenalarme die Mitarbeiter der Regierungsstellen weiterarbeiteten, ist auch mit Opfern zu rechnen, vor Redaktionsschluß waren Zahlen noch nicht bekannt. Gestern nachmittag war zu befürchten, daß es bei dieser Angriffswelle nicht bleiben wird.

Diese Bomben bedeuten nicht nur einen Angriff auf die Zivilbevölkerung mit allen Schrecken, die damit verbunden sind, und auch nicht nur die Durchsetzung eines militärischen Zieles: Es geht um die Verhinderung der kroatischen Unabhängigkeit, die heute 0.00 Uhr in Kraft treten sollte. Denn mit dem Ablauf des im Vertrag von Brioni im Juli vereinbarten Moratoriums wurde für gestern abend eine Bekräftigung der Unabhängigkeitserklärung in Kroatien und in Slowenien erwartet. Damals hatten beide Republiken den Vollzug der Unabhängigkeit ausgesetzt, um unter der Schirmherrschaft der EG einen Verhandlungsprozeß über die Modalitäten der Entlassung in die Unabhängigkeit einzuleiten. Die Verhandlungen sind daran gescheitert, daß Serbien und die Bundesregierung im Falle Kroatiens eine solche Lösung von vornherein torpedierten. Für Slowenien lagen die Dinge einfacher.

Mit dem Ablauf des Moratoriums und der Bekräftigung der Unabhängigkeit ist die Frage der diplomatischen Anerkennung der beiden nördlichen Republiken des ehemaligen Jugoslawiens wieder in den Vordergrund gerückt. Die Anerkennung könnte zwar nicht die Bomben verhindern, sie böte für Kroatien jedoch die Möglichkeit, nach Hilfe im Krieg gegen Serbien zu rufen, zumal die EG den jugoslawischen Konfliktparteien ein Ultimatum stellte, das gestern nacht um 24Uhr abgelaufen ist. Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher bekräftigten gestern den deutschen Standpunkt, der ja die Anerkennung der beiden Republiken mit einschließt, betonten aber, daß es keinen deutschen Alleingang in dieser Frage geben könnte. Allerdings hätten sich einige Staaten auch außerhalb der Gemeinschaft diesem Standpunkt angenähert. Im Klartext: die EG muß sich nun zu einer gemeinsamen politischen Handlung durchringen. Die Anerkennung könnte aber auch durch eine Staatengruppe geschehen, die nicht nur aus EG-Mitgliedern besteht.

Der Handelsboykott der EG gegenüber Serbien ist ein Druckmittel, das angesichts der Dynamik des Krieges kaum etwas auszurichten vermag, wenngleich der Nachschub von Öl für die serbische Armee aus Rumänien durch diesen Beschluß unterbrochen werden könnte. Und der Ruf nach einem Beschluß des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, der von manchen europäischen Ländern gefordert wird, kann den Kroaten unter Umständen wenig helfen. Denn Rumänien und China, die bisher eher Sympathien für Serbien erkennen ließen, haben ein Vetorecht.

Die Frage ist nun, ob die westlichen Länder einem Appell des kroatischen Präsidenten Tudjman Folge leisten werden, der gestern die Nato und die USA aufforderte, 30.000 Soldaten zu schicken sowie die Einheiten der sechsten US-Flotte im Mittelmeer vor die kroatische Küste zu verlegen. Bisher war es der Standpunkt der amerikanischen Diplomatie, die Lösung des Konflikts in Jugoslawien den Europäern zu überlassen. Doch deren Anstrengungen, über Verhandlungen den Waffenstillstand zu erreichen, sind gescheitert. Tudjman benannte mit dieser Forderung lediglich seine Präferenz bezüglich der unterschiedlichen Szenarien. Von Kriegsszenarien wollen die europäischen Staaten bis gestern offiziellerseits noch nichts wissen. Es ist aber anzunehmen, daß sowohl die Möglichkeiten des Eingreifens über die Westeuropäische Union als auch über die Vereinten Nationen ernsthaft erörtert werden. Erich Rathfelder