Zwischen Pappkartons und Perlen

■ Die Ausstellung „Peter I. in Westeuropa“ wird nach vier Monaten eingepackt

Dreimal klopfen ist das verabredete Zeichen. Erst dann öffnet sich die Hintertür zum Ausstellungssaal im ersten Stock des Überseemuseums. Gedämpftes Licht. Im Hintergrund Bohrgeräusche. Gleich neben der Tür steht der Beamte vom Sicherheitsdienst mit Wachhund und Funkgerät. „Zur besseren Verständigung“, erklärt er, „wenn mal was ist.“ Schließlich ist die Ausstellung „Schätze aus dem Kreml“ mehr als 100 Millionen Mark wert.

Hier, wo sich vor kurzem BesucherInnen tummelten, um einen Hauch der vielgerühmten „russischen Seele“ zu erhaschen, herrscht inzwischen Baustellenatmosphäre. Einige der beleuchteten Vitrinen sind bereits leer. Anstelle von Goldgefäßen und üppigen Gewändern blieben graue Pappkartons zurück. Leere Holzkisten, braunes Packpapier und Plastikfolien bestimmen das Bild.

In der Mitte des Raumes vor einer Fotomontage (Kremlsaal) sind fünf Damen in Kitteln und weißen Baumwollhandschuhen zugange: Die Damen-Crew aus dem Moskauer Kremlmuseum, allesamt Historikerinnen oder Kunstwissenschaftlerinnen.

Zwei von ihnen greifen gerade mit weißen Handschuhen nach dem Leibkaftan Peters I., der auf einem plastikbespannten Tapetentisch liegt. Mit ehrfürchtiger Miene wird der golddurchwirkte Atlas langsam zu einer schmalen Kiste getragen. Die Grundpolsterung aus Pappe, Schaumgummi und Papier wartet bereits.

„Lassen wir sie mal anfassen?“ fragt Natalja Zinizina ihre Kollegin. „Dabaite potrogaite, fassen sie ruhig mal an.“ Der Stoff ist rauh und kalt. Natalja Zinizina, Historikerin und Restaurateurin von Stoffen im Moskauer Kremlmuseum, weiß, worauf es beim Packen ankommt. „Die Goldfäden sind ziemlich hart, deshalb muß man beim Einpacken aufpassen, daß keine Falten entstehen, sonst bricht das Material. Alles muß rund sein.“ Bedächtig legt sie in die Ärmel Reispapierbälle, probiert wieder und wieder, wie es am besten paßt. Später werden noch einige Schichten verschiedener Papiersorten und Pappe um das Kleidungsstück gruppiert. Erst dann kann der Holzdeckel geschlossen werden.

An dem Tapetentisch gegenüber haben sich inzwischen die anderen „Bewahrer der Exponate“, wie die offizielle Bezeichnung heißt, zum Tee versammelt. Einen Zeitplan scheint keine im Kopf zu haben. Seelenruhig werden ein paar Kekse geknabbert und dann eine Zigarettenpause eingelegt. Peter Junge, Leiter des Projektbüros, bewundert zwar die Gelassenheit der Damen („irgendwie hat das was“), kann aber auch seine Nervosität nicht ganz verleugnen. „Die halten sich an keinerlei Zeitpläne“, sagt er und zuckt mit den Achseln.

Unterdessen haben sich drei Damen an das Verstauen der Mitra gemacht, die mit Perlen und Edelsteinen besetzte Krone des russischen Patriarchen. Die Historikerin Acja Romanenko zählt zunächst die etwa 700 Steine. Umständlich vervollständigt sie eine handgeschriebene Liste und freut sich über den guten Zustand des Stückes: „Nicht einmal Staub hat sich angesammelt.“ Dann wird geeignetes Material für die Verpackung gesucht, Schaumgummi zugeschnitten, verschiedene Papiere ausprobiert. „Die Krone muß wie in einer weichen Wolke liegen“, sagt sie und wickelt Seidenpapier. Nach einigem Hin und Her landet das kostbare Stück in einem selbstgenähten Stoffbeutel und schließlich — in Kiste neun. Birgit Ziegenhagen