Wie sich die SPD in eine Sackgasse kam

■ Detmar Leo, SPD-UB-Nord-Chef: „Erste Annäherung“ an das Wahldebakel

Die Leistungen des Bremer Senats in der Verkehrspolitik standen auch im Mittelpunkt des zeichnerischen Ehrgeizes...

Der vorliegende Versuch ersetzt keine Analyse, er verhindert aber möglicherweise die Lähmung, die schon wenige Tage nach dem Debakel einzusetzen droht. Anträge werden in nur wenigen Ortsvereinen formuliert. Anträge, die häufig die personelle Erneuerung zum Gegenstand ihres Inhaltes machen. Das ist prinzipiell auch gut so. Nur führen sie eben nicht sofort in die richtige Richtung, nämlich der dringend notwendigen und beschleunigten Selbstanalyse der SPD. Sie erzeugen stattdessen einen personalpolitisch gefärbten Scheinaktionismus, der von der kritischen Selbstbetrachtung, die dringend geboten ist, ablenkt.

These: Das Trauma der Parteikrise im November 1988 führte zu einer permanenten Blockade in der innerparteilichen Auseinandersetzung. Stattdessen wurde eine deklarierte Geschlossenheit nach außen demonstriert, obwohl im Inneren der Partei eine offenkundige Dissonanz herschte. Tatsächlich verbreitet sich in der Partei immer mehr ein Zustand zwischen Frustration, Unlust, Hilflosigkeit, Wut und Resignation.

Damit meine ich: Wenn sich die Spitzen der Partei, des Senats und Fraktion in eine politische Situation begeben, in der keine der agierenden Personen so handeln kann, daß daraus eine gemeinsame Handlungsebene wird, dann entsteht daraus auch eine innerparteiliche Bewegungsfähigkeit. Sie konnten sich deswegen nicht bewegen, weil ihnen die Notwendigkeit der gemeinsamen Handlungsstrategie selbst bei unterschiedlicher Auffasungn verloren gegangen war. Dies war sicher auch ein Ergebnis der komfortabelen Mehrheit seit vielen Jahren. Jeder der argumentativ außreißen wollte, sah sich umstellt von einer Vielzahl personeller und institutioneller Hürden. Jeder, der neue Personen und Inhalte präsentieren wollte, mußte durch unübersichtliche Kanäle der offiziellen und informellen Entscheidungs

hier die Zeichnung

mit dem Bauloch

Hier baut bremen...

instanzen und Entscheidungsträger hindurch, um überhaupt innerparteilich Gehör zu erhalten.

Einige Beispiele: Allen war bekannt, daß die Finanzlage Bremens katastrophal ist. Konsequent weitergedacht war der Ansatz dann im Frühjahr '89 Schwerpunkte zu bilden. So gab es Schwerpunkte in de Verkehrspolitik, in der Umweltpolitik und in der Energiepolitik. Die sogenannte Vorsitzendenrunde entwarf ein Positionspapier, das ein deutliches Signal für die inhaltliche Profilierung der Bremer SPD-Politik hätte sein können. Diese Papier scheiterte an extrem lokalen Interessen. Viele Abgeordnete, die in Personalunion in der Partei Funktionen haben, haben dieses Diskussionspapier unverzüglich sehr nahe an den Papierkorb gebracht.

Logisch, daß in einer solchen Situation der Landesvorstand gar nichts anderes machen konnte, als zähneknirschend klein beizugeben. „Klein beigeben“ war eben auch ein emotionaler Zustand, der aus der Situation der Bewegungsunfähigkeit erwuchs. Ein

Bilderbuchbeispiel war die Finanzierung des Kongreßzentrums. Nicht weil es 50 Millionen mehr kosten wird, sondern weil selbst bei hohen und höchsten Funktionärsträgern der SPD das Gefühl vorherrschte, dem „Zwang des Faktischen“ nichts mehr entgegensetzen zu können, ohne damit gleich eine Personalkrise auszulösen. Dies wollte keiner nach den Erlebnissen der Umbildung in Partei und Senat im November 1988 und den erzwungenen Senatsumbildungen nach dem Geiseldrama.

These:

Kleinmütigkeit, wenn es darum ging, Perspektiven zu entwickeln, war häufig genug der Anfang einer Sackgasse, aus der politisch keine Perspektive zu entwickeln war.

Der vielgescholtene Bremen- Plan war und ist besser als sein Ruf. (...) Konkreter und finanziell abgesichert, hätte der Plan schon sein können. Das ist aber nicht der Punkt. Ein Programm verliert seine Berechtigung, wenn es nicht einmal in der Partei diskutiert wird. Es wurde nicht diskutiert, weil die Grundlagen einer Perspektive unserer Politik nicht in den Ortsvereinen vordiskutiert wurde, sondern die Landeskommision das fertige Konzept entwickelten. Das ist keine gute Voraussetzung für eine wirkliche Teilhabe der Parteibasis an der Programmatik. Es ist nun aber mal unser Programm, abgeschlosen und abgesegnet. Eine kleinmütige Sozialdemokratie vor Ort sieht offensichtlich keinen Sinn mehr darin, dieses Pogramm offensiv gegenüber politischen Gegnern zu verteidigen und der Bevölkerung zu erklären.

Schlußfolgerungen:

1. Die gegenwärtigen Koalitionsverhandlngen müssen zu der parallel laufenden Ursachenanalyse der Wahldebakels durchgeführt werden.

2. Die wesentlichen Inhalte der Koalitionsverhandlungen müssen unmittelbar Gegenstand der politischen Entscheidungsprozesse in den Ortsvereinen werden. Auch auf die Gefahr hin, daß eine „stromlinienförmige Willenbildung“ damit praktisch ausgeschlossen ist.

3. Die Ursachenforschung ist unverzüglich auf allen Ebenen zu fördern und zu fordern. Sie sollte sich an Inhalten und an Strukturen orientieren.

4. Erst wenn wir als Partei wieder den Überblick gewonnen haben, werden Personaldebatten notwendig sein. Dieser Situation müssen wir uns alle stellen. Nur wenn jetzt ausschließlich die Personaldebatte beginnt, wie sie von einigen Teilen der Partei gefordert wird, dann lenkt diese Denatte unverzüglich ab von dem eigentlichen Problem der SPD in Bremen: Die gleichzeitige organisatorische, inhaltliche und personelle Diskussion muß zu einem Prozeß der politischen Erneuerung der Partei gemacht werden.