Eine ehemals dichte Volksmasse

■ Der Platz der Akademie, heute mit dem Charme eines menschenleeren Freilichtmuseums, war als Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte früher einer der belebtesten und aufregendsten Plätze Berlins

Mitte. Ein kalter Wind fegt über den Gendarmenmarkt. Eine Gruppe italienischer Touristen, die vor wenigen Minuten aus ihrem Bus gekippt wurden, steht eine Weile etwas unschlüssig auf dem ansonsten wie leergefegt wirkenden Platz und kauert sich schließlich, sichtlich erschöpft, in ein sonniges Eckchen der gewaltigen Freitreppe, die zum Schauspielhaus hinaufführt. Vergeblich suchen die ausländischen Besucher nach Abfalleimern — solch profane Dinge wie Mülleimer oder Bänke sind hier offenbar nicht vorgesehen. Das Volk weiß sich zu wehren, belagert die Treppen und schmeißt den Müll ins spärliche Gebüsch. Kaum zu glauben, daß dieser Platz einmal — so Ludwig Rellstab im Jahre 1852 — »einer der belebtesten Berlins« war. E.T.A. Hoffmann, neben Rahel Levin Varnhagen, Joseph von Eichendorff und anderen einer der berühmten Anwohner des Gendarmenmarktes, schrieb über ihn: »Der ganze Markt schien eine einzige, dicht zusammenhängende Volksmasse, so daß man glauben mußte, ein dazwischengeworfener Apfel könne niemals zur Erde gelangen.« Lebendig ging es auch in den umliegenden Kneipen und Cafés zu. Berühmt waren vor allem das Weinlokal Lutter& Wegner, in dem sich E.T.A. Hoffmann gemeinsam mit dem Schauspieler Diverent zu betrinken pflegte, und das Café Stehely. Letzteres erfreute sich wegen der vielen verschiedenen internationalen fortschrittlich-liberalen Zeitungen und Zeitschriften, die dort für die CaféhausbesucherInnen auslagen, einiger Berühmtheit. Es entwickelte sich, so der Zeitgenosse und Journalist Karl Gutzkow, zu einem »Revolutionsherd der vormärzlichen Zeit, wo Baisers, Pasteten, Spritzkuchen und Journale den Geist der Neuerung befördern halfen.«

Das Leben am Platz änderte sich jedoch nachhaltig gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als Teile der ursprünglichen Randbebauung dem Spekulantentum zum Opfer fielen und sich das Viertel, nicht zuletzt durch die Ansiedlung der Seehandlung und die Nähe der Reichsbank zum Bankenviertel entwickelte und eine ebenso vornehme wie langweilige Ruhe die Atmosphäre des Platzes zu bestimmen begann.

In das alte Seehandlungsgebäude ist später dann die Akademie der Wissenschaften der DDR eingezogen, die dem Platz 1950 seinen neuen Namen gab. Die Bezeichnung »Gendarmenmarkt« ist übrigens nie offiziell bestätigt worden, sondern entstammt dem Volksmund, der den Platz nach den berittenen Garderegiment gens d'armes, das sich ab 1709 hier immer mehr breitgemacht hatte, benannte. Das Regiment, das mit Gendarmen nichts zu tun hat, stieß bei den Anwohnern und den Kirchengemeinden nicht gerade auf Gegenliebe, zumal es bald seine Stellungen rund um die beiden Kirchen anlegte, was der deutschen Kirche denn auch den Spitznamen »wohlbestallte Kirche« einbrachte. Erst nach zahlreichen Beschwerden der Kirchengemeinden verschwanden die adeligen Reiter mitsamt ihren Pferden vom Platz.

Die Kirchen selbst waren bereits acht Jahre vor der Reiterinvasion auf Anweisung des Kirchenfürsten Friedrich II. errichtet worden. Es gelang der französischen Gemeinde, den Kurfürsten, der gerne zwei baugleiche Kirchen gehabt hätte, mit einem schlagenden Argument auszutricksen. Sie machten den Vorschlag, ihre Kirche nach dem Vorbild der von Katholiken zerstörten hugenottischen Kirche in Charenton zu bauen und somit ein Symbol für den freiheitlichen und toleranten Geist Brandenburgs zu errichten. Ihm war daran gelegen, durch das wirtschaftliche und handwerkliche »Know-how« der Fremden, die eher rückständige Wirtschaft Brandenburgs zu modernisieren. So brachten denn auch gerade die zugereisten Franzosen, die 1685 fast ein Drittel der Berliner Zivilbevölkerung ausmachten, vom breitgefächerten Gemüse- und Obstangebot bis zur Wachskerzenmanufaktur zahlreiche Neuerungen nach Berlin.

Friedrich II. ließ den beiden Kirchen jeweils einen ebenso großen wie nutzlosen Turm verpassen. Der Bau der Türme verlief nicht ohne Komplikationen, da »der eine bald nach seinem Erscheinen in dieser miserablen Welt die innere Zwecklosigkeit seines Daseins in einer lichten Stunde erkannte und die Folgerung zog: er stürzte zusammen« — so der Schriftsteller K.F. Meißner. Der zweite Anlauf gelang jedoch. Auch das von Schinkel 1821 errichtete Schauspielhaus war bereits die zweite Auflage, nachdem die Langhanssche Version einige Jahre vorher abgebrannt war.

Diese drei, im Zweiten Weltkrieg stark beschädigten und in den siebziger und achtziger Jahren restaurierten, Gebäude prägen auch heute noch das Bild des Platzes. Leider vermittelt dieser zur Zeit noch den Charme eines gewaltigen Freilichtmuseums, anstatt ein lebendiger Stadtplatz zu sein. Nur wenige Geschäfte und Restaurants haben sich bisher hier niedergelassen, und der Platz selbst wirkt bisweilen wie ausgestorben. Ihm würden wohl nicht nur ein paar Bänke, sondern vielleicht auch eine Wiederbelebung der Wochenmarkttradition guttun. Und sollte eines Tages auch hier das Gemüse mit dem Schlachtruf »üc Kilo beś Marki« angeboten werden, dann würde auch der Gendarmenmarkt dem Ruf einer internationalen Metropole gerecht werden. Sonja Schock