Tour d' Europe

■ Faulheit ein Männerprivileg?

Pepo ist ein kleiner dicker Mann mit schwarzem Hut. Vollbepackte Taschen in beiden Händen, läuft er die Straße entlang. „Komm, Pepo, trink einen Tee!“ — „Keine Zeit, keine Zeit“, erwidert er, „die Arbeit ruft.“ Dennoch verweilt er fast vor jedem Laden und jedem Kaffeehaus für eine kurze Männerplauderei. So kommt es, daß in Istanbul die Kaffeehäuser den ganzen Tag voll sind — voll von Männern, die Tee trinken und Karten spielen. Die Frage drängt sich auf: „Wann eigentlich arbeiten diese Männer? Faulenzen sie ständig?“

Insbesondere in ländlichen Gegenden lastet die schwere Arbeit auf den Frauen, während sich die Männer dem Geplausche über einem Glas Tee hingeben. Türkische Männer sind faul, dies ist offensichtlich, während türkische Frauen fleißig sind — auf dem Feld, bei der Hausarbeit oder in der Fabrik. Manche behaupten, dieser Zustand sei eine Altlast des Osmanischen Reiches. Die türkische Herrscherklasse war stets gesellschaftlich unproduktiv, ausschließlich damit beschäftigt, sich den gesellschaftlichen Reichtum anzueignen, den ihre Untertanen erwirtschaften. Türken war es verboten, Handel zu treiben. Unternehmerischen Pioniergeist zu entwickeln, war Armeniern und Griechen vorbehalten. Türken waren weder Unternehmer noch Proletarier.

Erst mit der Gründung der türkischen Republik nach dem 1. Weltkrieg durchdrang kapitalistischer Geist auch türkische Köpfe. Vater Staat machte sich dann zwar daran, türkische Kapitalisten zu fördern, doch an dem dazugehörigen Beiwerk fehlte es häufig. Von den harten Konkurrenzkämpfen anderer Länder blieben die Protagonisten meist genauso verschont wie von der Einführung rigider kapitalistischer Arbeitsdisziplin. Hinzu kam, daß der öffentliche Dienst zu einer entscheidenden Erwerbsquelle ausgebaut wurde.

Vor jeder Wahl blähte die Regierungspartei die Stellenpläne auf. Ein Job als Hausmeister in einem Krankenhaus oder bei irgendeinem Amt war für viele, die vom Land in die Städte gezogen waren, ein attraktives Lebensziel: Zwar war der Job kläglich bezahlt, doch immerhin kam man so in den Genuß einer Sozial- und Krankenversicherung. Gearbeitet wurde dabei kaum. Ein bischen herumhocken genügte.

Seit die Neoliberalen am Ruder sind, hat sich das geändert. Immer häufiger lassen sich türkischen Firmen Experten aus Japan einfliegen. Diese Bösewichte kapitalistischer Rationalität verstehen nicht das Geringste von der über Jahrtausende mühsam entwickelten Ausgewogenheit zwischen Arbeiten und Ruhen. Böse Zungen munkeln, daß selbst das Teetrinken — vor allem während der Arbeit wichtig, um Körper und Geist die hart verdiente Zeit zur Muße zu gewähren — von diesen Leuten eingespart werden soll. Ömer Erzeren, Istanbul