Otto Normalfreier enttarnt

Berlin (taz) — Der Freier, das unbekannte Wesen, er ist enttarnt. Das seit elf Jahren existierende Berliner Prostituierten-Selbsthilfeprojekt „Hydra“ hat ihm die Schutzmaske vom Kopf gezogen. Ihm, das meint in diesem Fall: den nach „Hydra“-Schätzung täglich 1,2 Millionen Männern, die in diesem Land eine Prostituierte aufsuchen. Und wer kam unter der Tarnkappe hervor? Welche Überraschung: Otto Normalverbraucher.

Insgesamt 38 Freier hat das Autorinnenkollektiv von „Hydra“ unter wissenschaftlicher Begleitung in intensiven „Tiefeninterviews“ ausgequetscht. Das im Hamburger Verlag am Galgenberg erschienene Ergebnis, keine quantitativ repräsentative, sondern eine „qualitative Studie“, ist unter dem Titel Freier — das heimliche Treiben der Männer ab nächster Woche im Buchhandel zu erstehen.

Uneigennützige Zuneigung zu ihrer Kundschaft war es allerdings nicht, was die „Hydra“-Huren zum Schreiben trieb. „Mit dieser Studie wollen wir reich und berühmt werden und mindestens einen solche Bekanntheitsgrad erreichen wie Marx und Engels“, bekennen sie voller Hinterlust. Aber auch ganz ernsthaft: Ihr Beitrag zur „Entstigmatisierung dieser Männer“ schaffe die Basis dafür, daß sich Freier als solche öffentlich bekennen. Und jenes „Coming-out“ wiederum sei eine wichtige Voraussetzung, daß die gesellschaftliche Diskriminierung ihres eigenen Berufsstandes beendet wird. „Wir wollen“, sagen sie, „daß ein Polizist oder Richter, der nachts ins Bordell geht, dieselben Frauen nicht tagsüber wegen Förderung der Prostitution verfolgt oder verurteilt.“

Und außerdem: „Wenn der Freier zu seinem Tun stehen kann“, schreiben die Autorinnen, „ist er auch für gesundheitliche Aufklärungsmaßnahmen eher ansprechbar und wird sich eher präventiv verhalten.“ Solange diese Männer aber „zumindest einen Teilbereich ihrer Sexualität verdrängen“, seien sie auch nicht zum Nachdenken und zur „folgerichtigen Veränderung ihres Sexualverhaltens“ bereit, „indem sie sich, uns und andere mit Kondomen schützen“. Umgekehrt könne nun aber auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nicht länger behaupten, sie könne keine an die Freier gerichtete Anti-Aids-Kampagne starten, weil sie nicht wüßte, wer die Freier sind.

Doch wer ist er denn nun, unser Otto Normalverbraucher? Die Hälfte der Interviewpartner lebte zum Zeitpunkt der Befragung in einer festen Beziehung, mehr als ein Drittel hatte Kinder. Die Hälfte bezeichnete sich selbst als „unpolitisch“, nur 18 Prozent bekannten, politisch aktiv zu sein. Nur in zwei Dingen fällt unser Otto doch ein bißchen auf: 20 von 38 Männern waren konfessionslose Ungläubige. Und die meisten der Befragten hatten die körperliche Liebe irgendwann zwischen 1960 und 1980 im Puff, meist im Suff, gelernt, für sie war der Kontakt zu einer Prostituierten gleichbedeutend mit dem ersten sexuellen Kontakt überhaupt. „Hat die sexuelle Revolution der sechziger Jahre im Suff stattgefunden?“, fragte eine der darüber immer noch erstaunten Autorinnen. Allzu sinnenvernebelnd scheint dieser Suff aber nicht gewesen zu sein, denn rund zwei Drittel der Interviewpartner gaben an, dieses Erlebnis der Mannwerdung sei „schön“ gewesen. Ute Scheub