Weiße Kollektivängste-betr.: "Die Bittgänger der Demokratie" (Über das Desinteresse der Welt an Haiti), taz vom 4.10.91

betr.: „Die Bittgänge der Demokratie“ (Über das Desinteresse der Welt an Haiti), taz vom 4.10.91

Wie Dominic Johnson richtig schreibt, liegt das weltweite Desinteresse an Haiti auch an den Stereotypen, die sich über dieses Land in Umlauf befinden. Im gleichen Atemzug fällt er ihnen selbst zum Opfer: „Tonton makut“ heißt wirklich nicht, wie tausendfach kolportiert, „Onkel Menschenfresser“, sondern schlicht „Onkel mit dem Sack“, wie die HaitianerInnen die Schergen der Duvalier-Diktatur und ihre Nachfolger nennen.

Seit nunmehr 200 Jahren, als die haitianische Revolution die weißen Kolonialisten das Fürchten lehrte, bestimmen derartige Negativklischees den westlichen Diskurs über Haiti. Die Verbindung zwischen Vudu und Kannibalismus haben wir dem britischen Diplomaten Spencer St.John und seinem Buch Hayti or the Black Republic (1884) zu verdanken. Sie hat sehr wenig mit der haitianischen Wirklichkeit, aber um so mehr mit geschickt perpetuierten weißen Kollektivängsten zu tun. Gerhad Dilger, (West-)Berlin