Vor dem Endspiel: Die Liebe

Ein Untergangsroman von Christoph Meckel  ■ Von Ursula März

Das ist eine haltbare Geschichte: ein Mann und irgendeine Frau. Er bezahlt ihr, daß sie da ist. Eine Liaison abgeklärter Körper auf geschäftlicher Grundlage.

Die Erzählung dieser Geschichte muß nicht der Romantik entbehren und nicht der Dramatik. Beides entsteht aus der Umkehr der Konvention; die Romantik aus der Verführbarkeit einer unberührten Seele; die Dramatik aus der Verletzung des Tabus, das dem Handel der Geschlechter alles erlaubt, mit Ausnahme des reinen Gefühls. Davon heißt es in Christoph Meckels Roman Die Messingstadt: „Der Augenblick, den ich voraussah und fürchtete, den ich verwünsche, er hat Gabriella Saba und mich ruiniert. Wunderbarer Augeblick, unmöglich. Sie hat mir gesagt, daß sie mich liebt.“

Das Liebesverbot der Libertinage gibt, wenn es übertreten wird, der Liebe die Utopie der Absolutheit zurück; denn die Frau, die einmal Gabrielle, einmal Saba heißt, die dem Mann das Geld, das er ihr für die Nächte dreier Monate gab, auf den Tisch zurücklegt, hoffend, daß er es nimmt, schenkt ihr ganzes Herz und ihre Existenz.

Das Märchen von der heiligen Hure am Milieukitsch, an der Moral und an der reinen Männerphantasie vorbeizulancieren, ist für eine Erzählung keine einfache Sache, und ihrer Lektüre geht Skepsis voraus. Der erotische Ausnahmezustand stimuliert derzeit die hiesige erzählende Literatur in erster Linie zur Produktion einer durchgesteuerten Gelehrtenprosa (was etwas ganz anderes ist als Gedankenprosa), die ihr Thema unmittelbar mit Theorie verkuppelt und ihre Geschichte in den Schatten eines Bildungshintergrundes stellt.

Bei Meckel steht die Liebe nicht unter Verdacht, der Gedankenlosigkeit zu verfallen. Sie verfällt dem Luxus. Er plündert für die Ausstattung seiner dekadenten Messingstadt nicht die Theorie, sondern die Literatur und ihre Bilder vom extravaganten Dasein. All diesen Nachtvögeln und Untergetauchten, den Halbseidenen und Halsabschneidern, Flaneuren und schrägen Gesichtern ist man in Büchern schon begegnet. Sie bevölkern eine fiktive Stadt mit dem Namen „Babylon City“. Sie sind die haltlosen Statisten des Endspiels einer Metropole.

Eine nicht weiter präzisierte Zivilisationskatastrophe, „eine Verstrahlung“, scheucht am Ende des Romans den literarischen Amüsierbetrieb aus der Stadt. Die Geschichte zwischen Jean, der das Leben damit zugebracht hat, Geld und Zeit zu verspielen, und Gabrielle Saba, die davon lebte, ihren Körper zu verkaufen, ist der bleibende, fragwürdige Rest der Untergangslegende.

Denn der Mann, der das Geld auf dem Tisch liegen ließ und, dem Gefühl den Rücken kehrend, fluchtartig Babylon City verließ, kehrt nun zurück, dem Konvoi der Flüchtigen und Überlebenshungrigen entgegen, geistert alleine durch eine ausgestorbene Stadt, unfähig, mit ihr abzuschließen. Das ist eine haltbare Geschichte, denn sie ist noch nicht zu Ende erzählt.

Christoph Meckel: Die Messingstadt. Roman, Hanser Verlag, 1991, 216 S., DM 26,- .