Heftige Kämpfe in Irakisch-Kurdistan

Angriffe der irakischen Armee/ Autonomieverhandlungen in der Sackgasse/ Differenzen unter den Kurden-Parteien  ■ Von Beate Seel

Berlin (taz) — Bernt Bernander, der UN-Koordinator in Bagdad, zog kürzlich die Alarmglocke. Wegen der geringen Fortschritte bei den Verhandlungen über einen Autonomiestatus für Kurdistan und der irakischen Truppenbewegungen in der Region, so Bernander, sei die Lage im Nordirak ziemlich gespannt. Die Ereignisse sollten ihm recht geben. Am Wochenende kam es nach Angriffen der irakischen Armee und Luftwaffe zu den heftigsten Kämpfen seit dem Ende des kurdischen Aufstands. Die Gefechte konzentrierten sich auf Kifri und Sarkalar südlich von Kirkuk. Dabei wurden Panzer und Kampfhubschrauber eingesetzt. Nach Angaben der Hilfsorganisation „Ärtzte ohne Grenzen“ griffen irakische Truppen auch Orte in der Gegend von Suleimaniyah an. Wie Kurden-Organisationen mitteilten, wurden dabei mehrere Menschen getötet und rund 250 verletzt. Aus Kifri und Sarkalar seien 15.000 Menschen in Richtung Iran geflohen. Am Montag sollen die Kämpfe wieder abgeflaut sein.

Die umkämpfte Region in der Provinz Kirkuk war in den letzten Monaten einer der wichtigsten Streitpunkte bei den Autonomiegesprächen zwischen der Kurdistan-Front, einer Dachorganisation von sechs Parteien, und der irakischen Führung. Die Erdölstadt und ihre Umgebung soll nach dem Willen Bagdads nämlich nicht Teil des autonomen Kurdistans werden. Auch ein Vorschlag der Front, im Abkommen festzuhalten, daß dieses Problem zu einem späteren Zeitpunkt gelöst wird, stieß nicht auf die Zustimmung der Verhandlungspartner. Solange die Baath-Partei an der Macht sei, werde Kirkuk nicht Teil Kurdistans, hieß es seitens des Regimes. Um vor Ort Tatsachen zu schaffen, ist die irakische Führung derzeit dabei, in der umstrittenen Region arabische Stämme anzusiedeln.

Ein Sprecher der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) unter Führung von Massoud Barzani erklärte am Montag abend in einer Stellungnahme zu den jüngsten Kämpfen: „Diese Entwicklung zwingt uns dazu, die ganze Situation neu zu überdenken.“ Eine Äußerung, die auf die Autonomiegespräche anspielt und bei der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) von Jalal Talabani sicher auf offene Ohren stoßen wird. Zwar hat die Kurdistan- Front beschlossen, auch im Falle von Meinungsverschiedenheiten mit einer Stimme zu sprechen, doch in jüngster Zeit waren Differenzen auch nach außen hin deutlich geworden. So hatte sich Barzani vor Ausbruch der Gefechte unverändert optimistisch über die Gespräche gezeigt. Es sei nur noch eine Frage von Tagen, so Barzani Mitte September, bis das Autonomieabkommen unter Dach und Fach sei. Talabani gab sich zurückhaltender: Es habe zwar Fortschritte gegeben, doch seien noch Gräben zu überbrücken.

Letztes Angebot der irakischen Führung

Nach vier Monaten Verhandlungen lag Ende August das „letzte Angebot“ Bagdads auf dem Tisch, doch die Kurdistan-Front konnte sich nicht zu einem klaren gemeinsamen Ja oder Nein durchringen. Statt dessen wurden in einem Memorandum weitere „Klarstellungen“ gefordert. Eine zufriedenstellende Antwort aus der irakischen Hauptstadt ist bislang nicht eingetroffen, wie Kamal Fuad, Mitglied des Politbüros der PUK und der Politischen Führung der Kurdistan-Front, gestern gegenüber der taz erklärte.

Die Gräben, von denen Talabani sprach, beziehen sich nicht nur auf die Kirkuk-Frage, in der sich die Kurden-Parteien weitgehend einig sind. Die PUK befürchtet, daß die Kurden-Organisationen im Falle einer Unterzeichnung des Abkommens letzlich „Teil der Macht im Irak“ (Fuad) werden. So ist im Autonomiegesetz vorgesehen, daß alle Gouverneure kurdischer Provinzen, Bezirke und Kreise dem Innenministerium in Bagdad unterstehen, nicht aber der autonomen Regierung. Und die Tätigkeit des gefürchteten irakischen Geheimdienstes in Kurdistan wird von der Autonomieregelung überhaupt nicht berührt.

Schließlich soll dem Gesetz eine Erklärung beigefügt werden, in der beide Seiten den Putsch der Baath- Partei im Jahre 1968 gutheißen, die Politik der Partei unterstützen und sich gegen alle Staaten wenden, die den Irak überfallen haben. Namentlich genannt sind die USA, der Zionismus, Kuwait, Syrien, Iran und die Türkei, also auch die Nachbarstaaten, auf deren Territorien große Teile der kurdischen Bevölkerung leben. Für Fuad sind das alles Gründe, das Abkommen in seiner jetzigen Form als „mangelhaft“ zu bezeichnen.

PUK will nicht Partner der Baath werden

Während die KDP bislang davon ausging, daß ein neuer Krieg vermieden werden müsse und gegenüber Bagdad im Augenblick nicht mehr durchzusetzen sei, ist der PUK vor allem daran gelegen, daß die Kurdistan-Front nicht als Partner der Baath-Partei dasteht — auch, um internationale Sympathien nicht aufs Spiel zu setzen. Daher wurde in dem bereits erwähnten Memorandum auch festgehalten, daß die Kurden vor einer Zustimmung zu dem Abkommen erst die Meinung der Weltöffentlichkeit einholen müßten.

Zwar haben die kurdischen Parteien ein Interesse daran, einen endgültigen Bruch mit Bagdad hinauszuzögern, um nach dem Abzug der Alliierten aus dem Nordirak den offenen Ausbruch neuer Kämpfe und möglicherweise auch ein Auseinanderfallen der Front zu vermeiden. Wie die Äußerungen des KDP-Sprechers andeuten, rücken die beiden größten kurdischen Parteien nach den Auseinandersetzungen vom Wochenende jetzt vielleicht wieder näher zusammen. Doch auf Dauer, so scheint es, wird Bagdad diese Verzögerungspolitik nicht hinnehmen. Ob die Verhandlungen mit Bagdad auf diesem Weg de facto in einer Sackgasse enden oder offiziell abgebrochen werden, ist dabei letzendlich sekundär. Kamal Fuad: „Ohne eine Änderung der Macht, ohne eine Demokratie im Irak wird es keine Lösung für das kurdische Problem geben.“