Haitis Militär läßt Putsch legitimieren

■ Parlament unter Waffengewalt zur konstitutionellen Absetzung des gestürzten Aristide gezwungen/ OAS denkt nun doch über Militärintervention nach/ Washington rückt deutlich von Aristide ab

Port-au-Prince (afp/ips/ap) — In Haiti hat die Armee das Parlament in der Nacht zum Dienstag gezwungen, den durch einen Putsch gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide offiziell abzusetzen. Nachdem das von der Armee kontrollierte haitianische Fernsehen am Montag abend angekündigt hatte, das Parlament werde noch am Abend einen Übergangspräsidenten bestimmen, zogen wenig später gepanzerte Fahrzeuge vor dem Parlamentsgebäude in Port- au-Prince auf. Nach Augenzeugenberichten schossen die Soldaten auf das Gebäude und zerstörten dabei einige Fenster. Dann drangen sie ein und mißhandelten einzelne Abgeordnete. In einer Erklärung der Armeeführung hieß es dagegen, das Militär habe die Abgeordneten vor Angriffen durch Mitglieder des Sicherheitsdienstes von Aristide geschützt, die Parlamentarier „ermorden“ wollten.

Kurz nach dem Angriff erklärte der Abgeordnete Frantz Monde im Fernsehen, das Parlament habe die Absetzung Aristides nach Artikel 149 der Verfassung beschlossen. Artikel 149 der Verfassung von 1987 sieht vor, daß bei einer „Vakanz“ des Präsidentenamtes der Präsident des Obersten Gerichtshofes, dessen Stellvertreter oder der älteste Richter zum „provisorischen Präsidenten“ ernannt wird. Ein Fernsehsprecher sagte nach der Bekanntgabe der Absetzung, das älteste Mitglied des Obersten Gerichtes sei Joseph Nerette. Der Sprecher sagte jedoch nicht, ob dieser zum Übergangspräsidenten bestimmt worden ist und das Amt angenommen hat. Zudem müssen nach diesem Artikel der haitianischen Verfassung in 45 bis 90 Tagen Neuwahlen stattfinden.

Eine Delegation der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) war am Montag erneut zu Gesprächen mit der Militärjunta nach Haiti gereist, kehrte aber nach drei Stunden erfolgloser Verhandlungen überstürzt nach Washington zurück. Zum Zeitpunkt des Abflugs drangen Soldaten in das Flughafengebäude von Port-au-Prince ein. Sie verhafteten eine Gruppe haitianischer Politiker, die gerade nach Venezuela fliegen wollte, um mit dem dortigen Präsidenten Andrez Perez zu sprechen. Unter den Verhafteten sollen sich der Bürgermeister der Hauptstadt, Evans Paul, und der Politiker Marc Bazin, Hauptrivale Aristides bei den Präsidentenwahlen vom Frühjahr, befinden.

Die Außenminister der 34 OAS- Mitgliedsländer wollten sich gestern in Washington für die Entsendung interamerikanischer Streitkräfte in den karibischen Inselstaat aussprechen. Argentinien will nach Angaben seines Außenministers Guido Di Tella bei der Sitzung eine entsprechende Änderung der OAS-Satzung vorschlagen, um die Schaffung einer „Friedenstruppe zum Schutz der Demokratie und des Selbstbestimmungsrechts der Völker“ zu ermöglichen und weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Aristide begab sich unterdessen am Montag von Caracas nach Jamaica, wo er um die Unterstützung der Karibischen Gemeinschaft (Caricom) gegen die Putschisten nachsuchte.

Während Frankreich die Einsetzung eines Interimspräsidenten in Haiti als „lächerlichen pseudokonstitutionellen Staatsstreich“ verurteilte, war in Washington von der Notwendigkeit die Rede, einen „nationalen Konsens“ zu finden. Die neue Formulierung des US-Außenministeriums deckt sich mit der Forderung des Juntaführers Cedras, der gesagt hatte, vor einer Rückkehr Aristides müsse „ein Konsens aller Sektoren des Landes“ hergestellt werden. Außerdem erklärte das Weiße Haus, Washington habe Aristide entschieden aufgefordert, die Menschenrechte einzuhalten, falls er wieder in sein Amt eingesetzt werden sollte. In US-Presseberichten wird seit einigen Tagen hartnäckig auf „Menschenrechtsverletzungen“ hingewiesen, die Aristide als Präsident begangen haben soll. Ein Kommentator der 'Los Angeles Times‘ verglich ihn gar mit Zaires Diktator Mobutu und sagte, letzterer habe wenigstens seine Oppositionellen am Leben gelassen, während Aristide kurz vor dem Putsch die Ermordung eines Gegners — gemeint ist Roger Lafontant, Chef der Terrormiliz „Tontons Macoutes“ — befohlen habe.