Waffenruhe am Tag der Unabhängigkeit

Der Bombenangriff auf das Präsidentenpalais in Zagreb wird als Mordanschlag auf Tudjman gewertet/ Die serbische Führung und Verteidigungsminister Kadijevic haben mit dem Waffenstillstand vorerst die Wirtschaftsblockade Europas abgewendet  ■ Aus Zagreb Roland Hofwiler

Nur auf dem Zeitungspapier war der gestrige Unabhängigkeitstag Kroatiens ein Topthema. In großen Lettern war zu lesen: „Wir sind unabhängig von Jugoslawien“. In dem Morgengruß des wieder sendenden Fernsehens hieß es: „Guten Morgen im neuen Kroatien. Wir sind jetzt ein souveräner Staat. Wenn wir dafür auch noch einen noch höheren Preis bezahlen müssen, wir sind dazu bereit, die nächste Generation wird uns dafür danken.“ Doch was nun, fragten sich die Menschen. Noch immer werde Krieg geführt, über ein Drittel des Territoriums werde durch die Armee des Gegners kontrolliert. Und nicht einmal die diplomatische Anerkennung durch andere Länder zeichne sich ab.

Der Angriff auf das Präsidentenpalais, der direkte Angriff auf den Präsidenten Tudjman, der gerade mit dem ehemaligen jugoslawischen Ministerpräsidenten Markovic und Staatspräsidnet Mesic konferierte, hat aber auch die kritischen Stimmen zur Verteidigungspolitik der Regierung zunächst verstummen lassen. Und es mußte in Kroatien Empörung auslösen, daß in den serbischen Medien der Flugangriff auf den Regierungssitz in Zagreb als „mögliche Provokation der kroatischen Nationalgarde“, so die Belgrader 'Politika‘, heruntergespielt wird. Das Belgrader Verteidigungsministerium ließ gestern verlauten, man habe den Luftangriff nicht befohlen und könne sich nur vorstellen, daß dies ein „Selbstverteidigungsakt“ einer in Kroatien „bedrängten Bundesarmee-Einheit“ gewesen sei oder daß Tudjman selbst den Angriff insziniert habe, um die „jugoslawische Armee in der Welt zu diffamieren“.

Immerhin, nach dem überraschend von der Armee ausgerufenen Waffenstillstand schwiegen außer in Osijek und Vukovar bis gestern (nachmittag) die Waffen. Hat die Androhung einer Wirtschaftsblockade durch die EG doch ihre Wirkung gezeigt? Der „serbische Block“ im Staatspräsidium hatte in der Nacht zum Dienstag den Befehl an die Bundesarmee ausgegeben, jegliche Kampfhandlungen bis Mittwoch null Uhr einzustellen, um der kroatischen Seite ebenfalls Zeit zu geben, ihre „illegalen Verbände“ abzuziehen und die Blockade von Bundesarmee- Kasernen aufzugeben.

Dies ist eine Forderung, die Zagreb so aber nicht erfüllen kann. Würde es auf den Beschluß des „Staatspräsidiums“ hören, das eigentlich gar keines mehr ist, da von acht Mitgliedern nur vier (der sogenannte serbische Block) die Entscheidungen treffen und die anderen vier (Vertreter Kroatiens, Sloweniens, Makedoniens, Bosniens) nicht mehr teilnehmen, würde Zagreb so die Legitimität dieses Rumpfpräsidiums anerkennen. Das ist nicht nur unannehmbar für den entmachteten jugoslawischen Staatspräsidenten Stipe Mesic. So ist damit zu rechnen, daß die Ankündigung des Rumpfpräsidiums wahr gemacht wird, sollte Zagreb dem Ultimatum nicht Folge leisten, werde man die „Befreiungsangriffe“ fortsetzen.

EG verschiebt Sanktionen

Dagegen will die EG ihre Drohung, Wirtschaftssanktionen gegen Jugoslawien zu verhängen, vorerst noch nicht wahrmachen. Das Ultimatum der Gemeinschaft war am Montag um 24Uhr ausgelaufen. Die Politischen Direktoren der zwölf EG-Staaten wollen am Mittwoch in Den Haag zusammentreffen, um einzelne Sanktionsmaßnahmen zu verabreden, wenn die Waffenruhe nicht halte, sagte der Sprecher. Die Übereinkunft sieht vor, daß die Kroaten die Blockade der Kasernen der Bundesarmee aufheben und die Armee sich im Gegenzug zurückzieht.

Der kroatische Außenminister Zvonimir Separovic werde die Nato- Zentrale in Brüssel aufsuchen, erklärte der Sprecher der EG-Kommission, Bruno Dethomas. Die Nato habe keine „formelle Anfrage“ von Separovic bekommen. Der kroatische Präsident Franjo Tudjman hatte an die Nato appelliert, wenigstens 30.000 Soldaten als Friedenstruppe zu schicken.

Mobilmachung in Albanien

Auf den Nebenschauplätzen des Krieges herrschte auch gestern gespannte Ruhe. Die Medien der Republik Bosnien schrieben einhellig, was Zagreb am Montag widerfahren sei, könne täglich auch Sarajevo treffen. Ein sogenannter Geheimplan der Armee, „Kommando Breite Schulter“, habe die gewaltsame Entmachtung der bosnischen Regierung bereits im Visier. Im albanisch besiedelten Kosovo wie in Albanien selbst glaubt man nun, fanatische serbische Generäle könnten nun zu allem bereit sein, auch zur „Eröffnung einer Südfront“ (Radio Tirana), bei der Kosovo und möglicherweise auch Albanien in den jugoslawischen Bürgerkrieg hineingezogen werden könnten. Präsident Alia verkündete deshalb gestern die Generalmobilmachung der albanischen Streitkräfte, die bereits seit Wochen in erhöhter Alarmbereitschaft gehalten werden.