Noch keine Wende am Arbeitsmarkt

Trotz Rückgangs der Arbeitslosigkeit in Ost und West warnt die Bundesanstalt für Arbeit vor voreiligem Jubel/ Der Tiefpunkt wird erst Mitte 92 erwartet/ Sechzig Prozent der Erwerbslosen sind weiblich  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Mit verhaltenem Optimismus blickt der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit (BA), Heinrich Franke, in die Zukunft. Zum zweiten Mal nach der Wiedervereinigung kann er für den Arbeitsmarkt in West und Ost einen Rückgang der Arbeitslosigkeit vermelden.

In den fünf neuen Bundesländern verringerte sich die Arbeitslosenzahl gegenüber dem August um 34.500, in der alten BRD um 62.700. Insgesamt sind im neuen Deutschland derzeit 2,6 Millionen Menschen ohne festes Beschäftigungsverhältnis, knapp 1,5 Millionen sind von Kurzarbeit betroffen. Trotz des positiven Monatsergebnisses warnte Franke vor voreiligen Schlüssen. Er erwartet den Höhepunkt des Beschäftigungsabbaus im Osten erst für Mitte nächsten Jahres.

Derzeit sind in der ehemaligen DDR knapp über eine Million Menschen ohne Arbeit, die Quote verringerte sich gegenüber dem Vormonat von 12,1 auf 11,7 Prozent. Spitzenreiter im Osten sind Ost-Berlin mit 14 und Mecklenburg-Vorpommern mit 13,4 Prozent, Schlußlicht ist Sachsen mit 10,4 Prozent. Die Kurzarbeit verringerte sich im Osten gegenüber August um 116.000 auf derzeit 1,33 Millionen. Doch sowohl die Tendenz zu Dauerarbeitslosigkeit als auch zu langandauernder Kurzarbeit ist steigend. Von den im Juli registrierten Arbeitslosen war fast jeder dritte bereits acht Monate oder länger arbeitslos. 42 Prozent der Kurzarbeiter arbeiten schon über ein Jahr lang in der verkürzten Arbeitszeit.

Daß inzwischen im Osten schon 60 Prozent der Arbeitslosen Frauen sind, ist laut Franke nicht darauf zurückzuführen, daß Frauen zuerst entlassen würden. Der Stellenabbau in der Ex-DDR betreffe Frauen wie Männer gleichermaßen, viermal so viele Männer wie Frauen pendeln jedoch tagtäglich von Ost nach West zum Arbeitsplatz. Pendeln vertrage sich „oft nicht mit der Wahrnehmung von Familienpflichten“, begründet Franke dieses Phänomen. Derzeit pendeln Tag für Tag 450.000 von Ost nach West, um zu arbeiten. Durchschnittlich 10.000 bis 15.000 siedeln Monat für Monat von Ost nach West um.

Eine weitere Entlastung erfährt der angespannte Arbeitsmarkt im Osten neben saisonalen Einflüssen vor allem durch inzwischen 313.000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, 225.000 Empfänger von Altersübergangsgeld und 85.700 Personen, die eine berufliche Weiterbildung im September begonnen haben.

Doch nach wie vor „gehen mehr alte Arbeitsplätze verloren, als neue geschaffen werden“, betont Franke. Der angekündigte Schub von etwa 200.000 Entlassungen zum Quartalsende, 30. September, ist zudem in den aktuellen Zahlen nicht enthalten. „Der nächste Monat wird spannender“, prophezeite der Präsident der Bundesanstalt. Zum 31. Dezember erwartet er weitere 300.000 Entlassungen, so daß der Arbeitsmarkt seinen Tiefpunkt erst Mitte 1992 erreichen wird.

Auffallend an den neuen Statistiken ist, daß sich trotz sinkender Arbeitslosenzahlen in West und Ost die Zahl der arbeitslosen Ausländer erhöht hat. Im Westen waren Ende September 206.200 Ausländer arbeitslos gemeldet, zehn Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Bundesanstalt führt dies auf eine „anhaltende und deutliche Zunahme“ der erteilten Arbeitserlaubnisse für Ausländer zurück.

In den neuen Bundesländern ist die Zahl der arbeitslosen Ausländer geringfügig um 117 auf 15.405 gestiegen, obwohl die Abwanderung der Ausländer — nicht nur durch die Aufkündigung der Regierungsabkommen — ungebremst ist. 11.400 Zuzügen von Januar bis Juni stehen 17.900 Abwanderungen aus den neuen Ländern gegenüber.