Nebenbei-DDR-Geschichte...

■ ...erzählt von Frank Beyer

Schauplatz DDR — 70er Jahre: Weil etwas »Politisches« gegen ihn vorliegt, soll sich die Tochter eines höheren Funktionärs von ihrem Freund trennen und treibt ihn damit zum Selbstmordversuch: Die »Unvollendete Geschichte« Volker Brauns erschien 1975 in einer Teilauflage der Zeitschrift 'Sinn und Form‘. Die Zensur hatte zunächst den Druck genehmigt, verbot aber dann die Auslieferung. So erschien Brauns Erzählung erst mal in der Bundesrepublik. Im Jahr 1 nach der DDR hat nun der Film zum Buch Premiere. Lutz Ehrlich und Holger Siemann sprachen mit dem Regisseur Frank Beyer.

taz: Herr Beyer, Sie wollten diesen Stoff schon damals verfilmen — mit der Wende wurde dann es möglich. Wurde es dadurch auch ein anderer Film?

Beyer: 1988 durfte die Erzählung in der DDR erscheinen, und ich machte einen zweiten Versuch. Als wir 1989 an die Vorbereitungen gingen, haben wir es noch als Gegenwartsfilm machen wollen: Ein Gegenwartsfilm hätte einen sensationellen Aspekt gehabt. Die Leute haben hier im Kino ja immer Ersatz gesucht — für das, was nicht in der Zeitung stehen durfte. Durch die Ereignisse des Herbst 1989 fiel dieser aktuelle Gesichtspunkt weg — es war plötzlich ein historischer Film geworden.

Und was sagt man, wenn man alles sagen darf? Was bleibt?

Es bleibt immer die Liebesgeschichte: Auch als historischer Stoff schien mir das eine gute Kinogeschichte zu sein. Daß die Stasi da Briefe beschlagnahmt hat, das ist mir nicht das wichtigste gewesen. Ich bin sogar froh, daß dieser ganze Ballast aus den Filmen herausfällt. Ein Film wie Spur der Steine zum Beispiel hatte viele publizistische Elemente — das alles muß im Film jetzt nicht mehr gemacht werden, und das find' ich gut so.

Im Buch ist das Mädchen Täterin, im Film dagegen ist sie das Opfer — der Eltern, der Bonzen —, das malträtiert und »mißhandelt« wird. Warum?

Nein, sowohl in der Erzählung als auch im Film ist sie Opfer und Täter zugleich. Wir haben dieses Stasi- Motiv allerdings vereinfacht: Weil das Mädchen bei Volker Braun eher ein Kind der siebziger als der achtziger Jahre ist. Die jungen Leute sind skeptischer geworden, viel skeptischer. Daß sie scharenweise weggelaufen sind — im Sommer 89 — zeigt ja, wie wenig sie mit dem System noch am Hut hatten. Mir schien ein ahnungsloses Mädchen, das Briefe zur Stasi trägt, ohne die Folgen zu ahnen, nicht mehr glaubhaft zu sein.

Gibt es denn in diesem Film Rollen, mit denen Sie sich besonders identifizieren?

Natürlich sind meine Sympathien bei den jungen Leuten, aber mich interessiert die Figur des Vaters auch, der nicht preisgegeben und fallengelassen wird, obwohl er ja schlimme Sachen macht. Er ist ein Prototyp für viele Leute hier, die bereit waren, lange Zeit Dinge mitzumachen — und sie hatten doch schon manches durchschaut, was hier falsch war an dem System. Und insofern hat diese Figur schon etwas mit mir zu tun.

Am Schluß des Films gibt es eine Traumsequenz — die Abrechnung. Eine Abrechnung auch für Sie?

Ich mag das Wort Abrechnung in diesem Zusammenhang nicht so sehr. Bei Braun war diese Traumsequenz 1975 die Vorstellung einer basisdemokratischen Sache, wo also gewissermaßen das Volk selber Gericht hält über bestimmte Leute. Das hätte im Jahr 1990, als so etwas ja wirklich abgelaufen war, wie ein Avantgardismus aus zweiter Hand gewirkt.

Ist »Der Verdacht« der Film, den Sie gerne vor 15 Jahren gemacht hätten, aber nicht machen konnten, sollten, durften?

Das ist wesentlich differenzierter gewesen, als Sie das hier darstellen. Ich habe mich ja nicht pausenlos als Widerstandskämpfer gefühlt, der nichts anderes im Kopf hatte, als die Regierung zu kritisieren. Ich bin ein Filmregisseur, und ich habe eher nach Geschichten gesucht als nach Themen. Wir wollten aber die Grenzen des Möglichen erweitern — und ich wollte das. Das war aber trotzdem nicht so, daß ich 35 Jahre hier als Grabenkämpfer gelebt habe, sondern ich habe lange konform mit der Kulturpolitik gelebt — wenn Sie da Filme wie Nackt unter Wölfen und Fünf Patronenhülsen nehmen.

Sie sagen, »Der Verdacht« sei eine Liebesgeschichte und nur nebenbei eine DDR-Geschichte. Aber ist nicht die DDR eigentlich die Hauptfigur in Ihrem Film?

So weit würde ich in der Verallgemeinerung nicht gehen.