Ach, Schinkel!

■ Ein Tag? Ein Ausschnitt...

Gestern vor 150 Jahren starb der Baumeister und Maler Karl Friedrich Schinkel in Berlin. Ein Mann, bei dessen Erwähnung auch Laien ins Schwärmen geraten: sie kennen alle die Bauten in Berlin und Potsdam und wohl auch die Gemälde in der Galerie der Romantik im Schloß Charlottenburg: Oh mit welch wundersamen Stimmungen wird man hier konfrontiert, nein, in sie gleichsam hineingezogen mit der Verve des Ausführenden vor der Leinwand, mit der Wucht dessen, der einem die Landschaften vorführt, als seien sie nur so und nicht anders zu sehen, als seien sie die heilsamen Spiegelbilder der Seele eines Menschen, der auszog um der Wirklichkeit zu entrinnen und sich in eine andere, finstere aber stimmungsvollere, unwirtliche, aber phantastischere Welt zu begeben, um hier zu verweilen und uns von dort mitzuteilen — wie man aus dieser anderen Welt herauszulugen vermag: still, aber bestimmt, suchend und zeigend. — Und erst aus dieser Welt heraus unsere Wirklichkeit gesehen: macht uns diese fürchten.

Man mag zum wiederholten Male vor der Neuen Wache Unter den Linden oder vor der Nikolaikirche in Potsdam stehen, vor dem Alten Museum oder vor seinen Bauten in den Parks um Berlin. Nirgends aber wird die Wucht der Phantasie und die mitschwingende Melancholie deutlicher als hier in seinen Gemälden. Hier wird das Idealisierte allzeit fest- und zusammengehalten durch die collageartige Verbindung der dargestellten Scheinwelten, durch das gewaltige Getöse der Wolkentürme mit den durch sie hindurchscheinenden, blinzelnden und scharfen Sonnenstrahlen, durch das warmtönige Mauerwerk, das sich unter den Blaus, Oranges und Zartgrüns auf- und niederhebt, durch das Bebende, das Erhabene, durch die simultane Darstellung von Gesehenem und Gefühltem, von Erlebtem und eben so Gesehenem: ganz Maler, dem man die derart vorgetragene Romantik abnimmt, ganz so, wie wir Kindern ihre Sicht auf die Dinge lassen.

Schon verschwunden. An Schinkel denken heißt immer auch, ihn nur ausschnittweise wahrnehmen, heißt immer, an etwas Gesehenes von ihm denken und es sofort wieder wegdröhnen lassen vom Alltag, von den Ereignissen, Bildern und der Lektüre, die den Tag durchfluten, durch diesen uns treiben. Wer käme bei dem ganzen Alltagsrummel einmal dazu, sich den ganzen Schinkel an einem Tag anzutun: einen Tag mit der Lektüre seiner Briefe und Schriften, einen Tag mit dem Beschauen seiner Bilder und Entwürfe? — ach Schinkel, diese Zeit nehmen wir uns nicht, gönnen sie uns nicht. Mit schlechtem Gewissen eilen wir hier- und dorthin, tun uns böse Gespräche an, schlechte Bilder, fade Töne.

Doch dann, kurz vor Toresschluß im Herbst und Winter, wenn es draußen dämmert, gehen wir hinein in diese Galerie der Romantik, in den Knobelsdorff-Flügel des Schlosses Charlottenburg, stellen uns vor eines deiner Bilder, die Augenlider fallen uns fast zu, es geht nur um den Moment der Kontemplation, den sich einige hierzutage noch leisten, (ich Glücklicher wohne gleich um die Ecke), wir, ach, rede ich doch gleich bloß von mir, ich stehe da und staune, ringe um ein kleistsches Ach! (1803, du fuhrst gerade das erste Mal nach Italien), fange zu träumen an und wandle hinaus in das kalt-klare Berliner Licht, schlendere noch einmal um die Schloßecke (ich will und muß bei diesem Licht die Gemächer von innen erleuchtet sehen — dieses bernsteinbraun!), stehe vor deinem zauberhaften Pavillon, und, ach ja, dort ist der Himmel und degradiert deine angeblichen Übertreibungen zu Untertreibungen, es greift und streift das verblassende, dann immer noch nie so gesehene Sonnenlicht, mit der unsichtbaren Hand eines der Götter der Himmels hingetuscht, nach mir, nur nach mir, und ich gebe mich diesen zarten, kantigen und so silbrigen weißglühenden Rändern hin, dem Orange, dem Violett, dieser ganzen Palette von Farben, die noch kein Maler je so mischte.

Hingabe, ja Hingabe, doch da vorn dröhnen die Autos — sind sie wirklicher oder du? — mein Erinnern an was nicht mehr ist, was ich also nicht erinnern kann, oder doch, ich weiß es nicht, überquere, hinterher weiß ich nicht mehr wie, die Straße, trunken, ein Tag geht, wie er gekommen, nein, lauter noch, unfreundlicher, er zerstört und zerstiebt mein Bild, das ich mir zu machen suche, von dir, von mir, von der Welt, der Tag, er beginnt bald von neuem, ein Geschenk angeblich des Himmels, aber keiner hat mich gefragt, vielleicht, wahrscheinlich sogar, will ich ihn nicht mak