Es wird in Zukunft noch ein bißchen enger werden

■ Die Ostberliner »Hochschule für Ökonomie« existiert nicht mehr/ »Abgewickelte« StudentInnen wollen an der Nachfolgehochschule in Karlshorst bleiben

Berlin. »Lieber gut gestreikt als schlecht studiert«, steht an dem langgezogenen Gebäude in der Dahlemer Garystraße 21, der Heimstätte des wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereichs der FU Berlin.

Streik ist kein Thema, aber wie studiert man hier? Zumal sich an dem Fachbereich mit seinen 5.000 StudentInnen die Lage noch einmal drastisch verschärft. Neben den »normalen« Neuimmatrikulierten sind für dieses Semester 380 Studierende der Hochschule für Ökonomie in Karlshorst (HfÖ) extra angekündigt.

Die HfÖ existiert seit zehn Tagen nicht mehr; sie wurde »abgewickelt«. Die etwa 2.000 StudentInnen konnten im Juli dieses Jahres wählen, an welcher Einrichtung sie weiterstudieren wollen. Dabei entschieden sich 1.200 für den Verbleib in Karlshorst. Dort soll eine neue Fachhochschule für Technik und Wirtschaft entstehen, die sich derzeit jedoch noch »in Gründung« befindet — so der von der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung ausgegebene Terminus.

Dennoch wird in Karlshorst weiter gelehrt und geprüft. Für 1.200 Studierende mit dem Ziel Fachhochschulabschluß. Außerdem unterstützen die Freie Universität und die Technische Universität noch für ein weiteres Semester das Vordiplomprogramm. Über den Weg an die Universitäten — 380 an die Freie und 240 an die Technische Universität — mußte das Los entscheiden.

An die TU wollten mehr: wegen der Nähe zum östlichen Stadtteil, wie der Neu-TUler Andreas (23) sagt, und weil ihr Ruf besser sei. Andererseits hätten die Lehrkräfte der FU »netter« gewirkt, berichten Heike und Katja. Sie hätten sich zwischen den Vorlesungen und Seminaren in Karlshorst »auch mal mit uns unterhalten.«

Bei den Prüfungen gab es keine Gnade. An der Hochschule für Ökonomie in Karlshorst wurden die Studierenden im letzten Semester einem Prüfungs-Parforce sondergleichen unterzogen. »Guck mal, was die mit uns gemacht haben«, erregt sich Heike: acht Prüfungen in drei Wochen, jeweils im Rhythmus Montag — Mittwoch — Freitag.

»Wir haben«, so ergänzt Katja verbissen, »was andere in vier Semestern studierten, in einem Semester gemacht.« Nämlich das Vordiplom in Wirtschaftswissenschaften.

An der FU erwartet die Studierenden zunächst Raumnot. Es kann in Zukunft »ein wenig eng« werden, beschreibt Professor Ralf Egner, was auf die HfÖlerInnen zukommt, die das Vordiplom gepackt haben. Doch die wirkliche Lage ist schwieriger, und das hat mit den HfÖlerInnen erst einmal nichts zu tun.

Der Dekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften, Ulrich Baßeler, drückt es in Zahlen aus. Setze man die Geldmittel, die für einen Studierenden im Jahr 1980 aufgewendet wurden, als Vergleichszahl gleich 100, so stehe dem heute der Wert 30 entgegen. Die Leistungen sind um 70 Prozent zurückgegangen — »inflationsbereinigt«, wie der Professor für theoretische Volkswirtschaft vorrechnet. »Die Situation an der FU«, so Ulrich Baßeler, »ist beängstigend.«

Der Lesesaal sei »rappelvoll«, stöhnt der Mann an der Ausleihe der betriebswirtschaftlichen Bibliothek. 80 Plätze gibt es hier — für zuletzt 2.899 BWL-Hauptfächler. »Man kann den Mißstand nur verwalten«, sagt Reimar Beensen, der Leiter der Bibliothek. Er habe wegen der Mittelkürzungen des Senats, die seinen Beschaffungsetat um ein Viertel dezimierten, 100 Zeitschriften abbestellt. Beensen vermutet, daß die HfÖlerInnen verstärkt den Lesesaal benutzen würden. Entsprechende Mehrfachanschaffungen kann er allerdings noch nicht anbieten. Das Geld der für die Zugänge der Hochschule für Ökonomie angekündigten Sondermittel sei »noch nicht auf unseren Konten.«

Im Dekanat zählt Professor Baßeler das Sonderprogramm durch. 15 Promotionsstellen und 30 studentische Hilfskräfte wurden dem Fachbereich außer der Reihe bewilligt. Außerdem Sachmittel und 150.000 DM. Aber auch hier gibt es Verzögerungen. Frühestens Mitte November wird etwa der oder die dafür eingeplante wissenschaftliche Assistentin die Studienberatung speziell für die Studis der HfÖ aufnehmen können — zu spät für eine schnelle Beratung der jetzt mit dem Studium beginnenden StudentInnen.

Magda David aus dem Dekanat der FU-Wirtschaftswissenschaften sagt, es komme eine »andere Sorte« von Studierenden. Unselbständige junge Leute, die von ihrem verschulten DDR-Studium gewohnt seien, daß ihnen alles vorgeschrieben werde. Nadja, Tutorin an der TU, weiß da anderes zu berichten. Die Studierenden aus dem Osten seien sehr fleißig, interessiert, und vor allem seien sie »kollegialer«, meint Nadja.

Was den Studierenden Schwierigkeiten bereitet, sind Unübersichtlichkeit und »Formularkrams«. Katja und Heike etwa haben sich, obwohl sie zu den 240 HfÖlerInnen gehören, die sich für die TU entschieden hatten, »sicherheitshalber« an einer Fachhochschule immatrikuliert. Sie haben Angst, die Ergebnisse des Karlshorster Vordiploms nicht rechtzeitig zu bekommen und nun »ein ganzes Semester zu verlieren.« Eine unbegründete Angst. Heinz- Dieter Kretzmer, der Studienberater für die Wirtschaftsfächer an der TU, empfiehlt ihnen, sich an der TU einzuschreiben. Sie bekämen auch ohne fertiges Vordiplom einzelne Leistungen in anderer Form — z. B. ls einfachen »Schein« — anerkannt. Im übrigen könnten sie die Ergebnisse der Nachprüfungen immer noch einreichen; Anerkennungsanträge für das Vordiplom könnten bis Januar 92 gestellt werden.

Die HfÖlerInnen, die den »organisatorischen Scheiß« in Karlshorst satt haben — wie einer von ihnen sagt—, werden sich im Treibsand des Massenbetriebes der West-Universitäten zurechtfinden müssen. Mit dem haben die »Wessis« genauso zu kämpfen. Magda David — Dekanat der FU-Wirtschaftswissenschaften — berichtet von der bevorstehenden Informationsveranstaltung »für unsere Hauptstudenten«. Die hätten kaum Ahnung, wie sie das Studium weiter organisieren sollten. Christian Füller

Weitere Informationsmöglichkeiten für HfÖlerInnen. FU: heute, Donnerstag und Freitag 11 Uhr, Garystr. 21, HS 103, zum Hauptstudium sowie von 10 bis 12 Uhr bei der Fachschafts- Initiative, die — etwas schwer zu finden — ihr Zimmer hinter dem Haus hat. Allgemeine Studenteninfos am Donnerstag um 14.30 Uhr. Ort: TU, H 1012. Thema: »Wie organisiere ich mein Studium selbst?«