: Die Vereinzelung unter uns
■ Papier aus dem Knast Bruchsal
Wie wir jetzt sicher wissen, ist Dave tot! Sein Tod wirft wieder einmal viele Fragen auf.
Dave ist bis vor einigen Monaten noch in einigen Sportgruppen aktiv gewesen. Es gab wohl keinen im Knast, der ihn nicht kannte. Dann, als er von der Knastleitung die Rote Karte verpaßt bekam, stellte sich nach und nach heraus, daß das Interesse am Menschen Dave sehr gering war, den kaum jemand besuchte, nachdem er in einen anderen Flügel zwangsverlegt wurde.
Uns scheint, die zwischenmenschlichen Beziehungen beschränken sich darauf, ob jemand was zu Dosen hat oder ob es sonst was zum Schnappen gibt. Auch das hier Geschriebene wird wohl von den meisten nur konsumiert. Kaum jemand befaßt sich wirklich damit. Es ist zum Kotzen! Bei euch hat das Programm Knast hervorragend gegriffen. Ihr funktioniert wie programmiert. Wie sonst kann es sein, daß heute Morgen im vierten Flügel, wo alle Beschweid wußten, das Ausrücken zur Arbeit so vonstatten ging, wie jeden Tag? Gelächter über dumme Witze anstatt zu hinterfragen, warum wir wieder einen Toten unter uns haben. Habt ihr euch schon einmal Gedanken gemacht, was los wäre, wenn es einen Schließer oder einen von der Anstaltungsleitung (AL) getroffen hätte, der durch einen von uns das Leben verloren hätte? Stellt euch das mal vor. Was da sofort verändert würde!
Für uns heißt es aber: Immer mehr wegschließen! Noch mehr Isolation! Heute Morgen ist dann auch als erstes sofort die Türe verschlossen worden durch Mechtel. Anstatt sofort Dave vom Gitter abzuhängen, schließt er die Türe und läuft weg. Sicherheit und Ordnung! Niemand ist sofort tot, wenn er sich erhängt. Dave hätte vielleicht gerettet werden können. Klar ist aber in jedem Fall, daß das von der Türe aus nicht entschieden werden konnte, ob jede Hilfe zu spät kommt. Nach zehn bis 15 Minuten kamen dann zwei Schließer und ein Sani um „nachzusehen“. Das wichtigste aber war, die anderen Gefangenen, die noch im Flügel waren, wegzuschließen. Niemand soll es mitkriegen! Still und leise wollen sie ihn wegräumen. Zu einigen sagten die Schließer dann auch: „Hopp, Hopp, in die Zelle!“ Wir sollten im Unklaren gelassen werden, wie es ihm geht. Sicherheit und Ordnung des Knastes wird über alles, was Mensch sein ausmacht, gestellt.
Ihr alle wißt, wie die Rot-Karten oder die mit „rotem Balken“ innerhalb des Knastes noch zusätzlich zu aller Isolation, die wir alle kennen, gequält werden. Aber nur sehr wenige unter uns leben solidarisch, deswegen können sie auch ihr Programm gegen uns alle jederzeit und täglich anwenden. Heute trifft es den, morgen jenen. Wann der nächste tot aufgefunden wird, ist somit schon vorprogrammiert, denn kaum jemand hat hier wirklich jemanden, mit dem er sich unterhaltenkann. Arbeiten für Pfennige ist den Knaststrategen wichtiger als uns die Möglichkeit zu geben, miteinander zu reden, wenn wir das brauchen. So durfte zum Beispiell auch Dave keinen Umschluß machen, weil er die rote Karte hatte! Das alles wissen wir, aber es funktioniert nur, wenn wir das auch mit uns machen lassen. Mit Schreien verändern wir nix, es liegt somit auch an uns, den nächsten Toten zu verhindern.
Beispielhaft hat sich auch wieder die sogenannte Gefangenenvertretung verhalten. Wo sind sie denn, unsere „Vertreter“? Das ist auch wieder ein „Thema“ für sie, an dem sie nicht zu rühren haben. Sie sollen sich gefälligst ums Essen kümmern und um das Aussuchen der Filme. Die wirklich wichtigen Dinge überlassen sie dafür den Knaststrategen. Dafür dürfen sie auch jeden Tag bis 21 Uhr TV gucken und miteinander blödeln, während der Rest der Gefangenen, immerhin über 300 Menschen spätestens um 19.30 Uhr unter Verschluß ist und viele dabei sind, die schon um 17 Uhr keinen mehr zu Gesicht bekommen bis zum nächsten Tag! Wenn Ihr nur ein bißchen Charakter habt, steckt euren verlogenen Job, bevor ihr von diesem Funktionärsposten geprügelt werdet von uns.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen