Kuba wartet auf die wundersame Wandlung

Heute beginnt der IV. Parteitag der Kubanischen KP/ Der Schicksalskongreß wird am politischen System nicht rütteln  ■ Von Ralf Leonhard

Managua (taz) — „Viele Länder des Kontinents befinden sich heute in einer dramatischen Situation ohne ersichtlichen Ausweg; sie wissen nicht, was passieren wird, noch wie sie der Herausforderung der kommenden Jahre entgegnen sollen.“ Nein, nicht von Kuba ist die Rede, sondern von den anderen Ländern Lateinamerikas in den erläuternden Bemerkungen des kubanischen Politbüros zum Aufruf für den heute beginnenden Parteitag.

Seit dieser Aufruf am 15. März des Vorjahres veröffentlicht wurde, ist für die Revolutionäre auf der größten Karibikinsel fast alles schiefgegangen, was schiefgehen konnte. Die ehemaligen Bruderländer sind nach und nach ins kapitalistische Lager desertiert, auch die Sowjets wollen den Handel nur mehr zu den für Rohstoffproduzenten fatalen Weltmarktbedingungen abwickeln. Der fehlgeschlagene Putsch in Moskau, in dessen Planung Fidel Castro vermutlich eingeweiht war, beschleunigte nur noch den Abnabelungsprozeß für des Kremls teuerstes Entwicklungsprojekt.

Jetzt zieht auch das eher symbolisch wichtige sowjetische Truppenkontingent samt Militärberatern ab. Ohne Gegenleistung der USA, versteht sich. Der US-Marinestützpunkt Guantanamo am Südostende der kubanischen Insel spielt in allen Planspielen für eine militärische Rückeroberung Kubas eine zentrale Rolle.

Als Konsequenz der immer knapper werdenden Erdöllieferungen werden die Traktoren zunehmend durch Ochsengespanne verdrängt, die altersschwachen Kabriolets aus den fünfziger Jahren und die ungarischen Ikarus-Busse weichen über einer Million chinesischer Fahrräder. Selbst der letzte Bedarfsartikel ist rationiert, und auch für die rationierten Waren muß man stundenlang Schlange stehen. Die Null-Option, der totale Rückzug ins vorindustrielle Zeitalter, der von der kubanischen Führung als letzter verzweifelter Ausweg bereitgehalten wird, nimmt langsam Gestalt an.

Deswegen klingt es heute fast wie Hohn, wie die Parteiobersten vor anderthalb Jahren ihr eigenes Land dem Rest Lateinamerikas gegenüberstellten: „Kuba hat im Gegensatz dazu solide Grundlagen und ein klares Programm, um unaufhörlich in allen wichtigen Richtungen voranzuschreiten, obwohl die ungewöhnlichen internationalen Rahmenbedingungen uns auch Anlaß für Verunsicherung und reale Gefahren bieten.“

Der heute in Santiago de Cuba beginnende IV. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas, der als Reformkongreß konzipiert war, wird zwangsläufig zum Krisenkongreß. Äußeres Anzeichen dafür, daß es in diesen Tagen wirklich ans Eingemachte geht, ist wohl die fragwürdige Entscheidung des Politbüros, die Veranstaltung unter Ausschluß der Öffentlichkeit abzuwickeln. Vier Wochen vor Beginn des Parteitages wurden die ausländischen Ehrengäste wieder ausgeladen, und die Visaanträge der rund eintausend internationalen Journalisten, die sich angekündigt hatten, wurden pauschal abgelehnt.

Dem Presseattaché der kubanischen Botschaft in Managua war sein Bauchweh anzuhören, als er das überraschende Rundschreiben bekanntmachen mußte. Doch es gibt keine Ausnahmen. Selbst die ganz Schlauen, die nach den Panamerikanischen Sportmeisterschaften im August gleich im Land blieben, wurden jetzt höflich hinauskomplimentiert. Nicht ganz zu Unrecht betrachtet man die Journaille als Schar von Aasgeiern, die die letzten Zuckungen des tödlich verwundeten Löwen beobachten, um sich dann am Kadaver gütlich zu tun.

Angesichts der dramatischen Umstände kann man erwarten, daß auf diesem Parteitag nicht einfach längst in den obersten Parteigremien gefaßte Beschlüsse von den Delegierten akklamiert werden, sondern daß grundsätzliche Fragen ernsthaft diskutiert werden, vor allem wirtschaftliche. Ob sich allerdings angesichts der alles überschattenden Dominanz des maximo lider ein fruchtbares Diskussionsklima entwickeln kann, ist fraglich. Vorgaben, an denen unter keinen Umständen gerüttelt werden kann, gibt es nur zwei, und sie sind im Aufruf zum Kongreß deutlich definiert: das sozialistische Gesellschaftsmodell und das Einparteiensystem mit demokratischem Zentralismus nach marxistisch-leninistischem Vorbild.

Dank der einfallslosen Politik Washingtons haben auch wohlmeinende Dissidenten schlechte Karten. Angesichts der zunehmenden Agitation revanchistischer Exilgruppen ist die Toleranz des kubanischen Geheimdienstes gegenüber Menschenrechtsgruppen, unabhängigen Gewerkschaften und inkonformen Künstlern deutlich geringer geworden. Gegen Demonstranten werden in letzter Zeit „schnelle Aktionsgruppen“ eingesetzt, die aus „freiwilligen Zivilisten“ rekrutiert werden.

So wird auch eine vor wenigen Tagen von sieben Hafenarbeitern gegründete Gewerkschaft nicht von langem Bestand sein. Ihre erste Grußadresse richteten die unerschrockenen Arbeiter ausgerechnet an Polens Präsidenten Lech Walesa, der bekanntlich über eine unabhängige Gewerkschaft das kommunistische Regime zu Fall brachte.

Es fällt schwer, sich ein Szenario auszumalen, das nicht schrecklich ist. Zwischen dem Weg in die Steinzeit hinter einem unbeirrten Fidel Castro und der Machtübernahme der rechtsextremen Exilmafia aus Miami sind kaum Optionen denkbar. Daher hoffen heute nicht nur die wenigen gläubigen Kubaner, daß auf dem Parteitag von Santiago ein Wunder geschieht.