Je jünger, desto besser

Kinderpornographie ist ein Verbrechen mit extrem hoher Dunkelziffer und geringem Risiko — denn auf die Täter warten Strafen nicht höher als bei Beleidigung. Die Bundespost verdient kräftig mit am Geschäft.  ■ VON FRAUKE HOMANN

Der Deutsche Kinderschutzbund stellt in seiner derzeitigen Kampagne „Helfen statt schweigen“ in einer Großanzeige Tom vor, der „in Filmen spielt, die er selbst nicht sehen darf...“ Es ist eine Anzeige gegen Kinderpornographie. In ihr heißt es weiter: „Tom ist ein hübscher, kleiner Junge. Das finden seine Mutter, der Vater und die ganze Verwandtschaft. Und vor allem besonders Freunde der Familie. Denn Tom hat etwas. Er ist fotogen und absolut nicht scheu. Tom ist die ideale Besetzung für einen Porno. Ein Film, in dem Erwachsene mit Kindern sexuell tätig sind. Tom wird vor der Kamera sexuell mißbraucht. Die Videos, in denen er die Hauptrolle spielt, werden an ganz spezielle Kunden verkauft. Und diese geben sie gern an Gleichgesinnte weiter. So wird Toms Körper berühmt. Nicht sein Gesicht, das spielt keine Rolle. Jungen und Mädchen wie Tom gibt es viele...“

Wohl wahr! Doch die Realität von Kindern im Pornogeschäft kann ich hier weniger glatt und verharmlosend beschreiben, wie dies der Kinderschutzbund tut.

Mädchen und Jungen „spielen“ nicht in solchen Filmen, sie funktionieren, weil Erwachsene sie für ihre sexuellen und/oder geschäftlichen Interessen abgerichtet haben und ausbeuten. Es spielt dabei auch keine Rolle, ob sie fotogen und absolut nicht scheu sind. Sie haben gefügig zu sein; wo sie sich wehren, hebt es vielleicht sogar den Preis, weil es so stimulierend für manchen Mann ist, mitzuerleben, wie der Widerstand gebrochen wird.

„Kinderpornographie“ ist ein Verbrechen mit extrem hoher Dunkelziffer und geringem Risiko, dafür hart bestraft zu werden. Das Strafmaß für die Verbreitung ist nicht höher, als bei der einfachen Beleidigung. Viele Täter kommen mit einer Geldstrafe weg, die gemessen am Schaden der Kinder und am gemachten Profit geradezu lächerlich ist.

Dieser Umstand erklärt auch die Unverfrorenheit, mit der in Kontaktheften wie „Happy-Weekend“ oder über das BTX-System der Deutschen Bundespost Interessen angemeldet und Wünsche übermittelt werden.

Da heißt es in einem Sexmagazin: „Sehr gut aussehendes Akademiker- Ehepaar mit Kind, möchte mit gutaussehendem, erotischem Paar... Ferien in einem FKK-Club machen. Dabei kann es auch zu Hautkontakt untereinander kommen.“

Der entscheidende kleine Hinweis in dieser Anzeige ist die Zeile: Ehepaar mit Kind.

Ein anderer Akademiker, 39 Jahre, 180, mit erregendem Körper, sucht versauten Briefwechsel und Gedankenaustausch über Teenie- Sex. Natürlich verfügt er über Tagesfreizeit und bietet Taschengeld.

Diskretion ist Ehrensache

Wer mit seinem Computer an das BTX-System der DBP angeschlossen ist, kann sich Angebote und Kontaktmöglichkeiten frei Haus ins Schlafzimmer holen. Da heißt es denn im Freizeit-Partner-Service: „Wissen Sie überhaupt, was Sie hier tun? Hält Ihr Herz diese Aufregung denn aus? Haben Sie genug Spielraum in der Hose? Hat Ihnen Ihre Frau das auch erlaubt? Wenn Sie diese Fragen ruhigen Gewissens mit Ja beantworten können, drücken Sie folgende Taste...“

Und dann wird es etwas genauer, nachdem nochmal das spezielle Interesse abgefragt wird: „Stehen Sie auf knabenhafte Körperformen? Suchen Sie etwas Junges, Ausgefallenes? Faszinieren Sie Schulmädchen und Teenies?“ Bei erneuter Zustimmung und entsprechendem Tastendruck erhält der Kunde für 9,99 DM mit Hilfe der Technik des Staatsbetriebes Deutsche Bundespost endlich die aktuelle Information. Die lautete zum Beispiel am 22.5.1990 um 10.05 Uhr:

—unbehaarte Lolita, blond, Telefon Berlin

—sexy Schülerinnen verführen, Telefon Freiburg

—geiles, anschmiegsames Kätzchen, Telefon Ulm

und so weiter.

An einer sogenannten Pinnwand besteht die Möglichkeit, direkt auf eine Annonce zu antworten. Da sucht am 25.5. ein Herr Pabst „kleine Mädchen, die für Taschengeld (500 DM) meine Wünsche erfüllen“. Am 26.5. meldet er sich wieder und hofft zu erfahren, wo in Hannover der Babystrich ist. Eine Mutter mit frühreifer Tochter, die „nur blasen“ muß, wäre ihm ebenfalls angenehm. Eine 13jährige Sandra wird angepriesen: unten noch nicht behaart, gehorsam. Es melden sich gleich mehrere Männer. Einer bietet 1.000 DM.

Es geht aus diesen Texten nicht hervor, ob es sich um Filmmaterial oder direkte Kontakte handelt. Entscheidend ist erst einmal, den Kunden- und Anbieterkreis zu ermitteln und einander bekannt zu machen. Diskretion wird natürlich verlangt, man möchte ja nicht die Polizei am Hals haben. Briefliche und telefonische Anfragen werden zuerst äußerst vorsichtig behandelt, mit Decknamen wird gearbeitet. Der Interessent wird als möglicher Kunde genau unter die Lupe genommen; am besten, er gibt sein eigenes Material preis, damit er als Insider erkennbar wird. Ist die Sicherheitsprüfung abgeschlossen, werden die Videocassetten, alles Kopien von sogenannten „Mutterbändern“ über Nummernschließfächer versandt.

Aus dem Schlafzimmer hin zum Markt

Der Kunde kriegt, was er verlangt — Topware, hartes und gutes Filmmaterial — und der Anbieter verdient ein Schweinegeld. Natürlich hat er sich vorher noch schriftlich abgesichert. Sein Videofreund bestätigt ihm, daß die übersandten Filme im gegenseitigen Tauschverfahren nur für private Zwecke verwendet werden. Sie dienen der privaten Besichtigung, dürfen nicht vervielfältig und kommerziell genutzt werden. Schließlich muß der Kunde noch bestätigen, daß er „an den übersandten Werken im sittlichen Sinne keinen Anstoß nimmt“.

Ach ja — und dann verpflichtet er sich noch, das Material Jugendlichen nicht zugänglich zu machen. Aus Gründen des Jugendschutzes. Die Altersgruppe der zur Schau gestellten mißbrauchten Kinder in diesen Filmen liegt zwischen ein bis zwölf Jahren.

Was sagte noch mal der deutsche Kinderschutzbund in seiner Anzeige über Tom? Er spielt in Filmen, „in denen Erwachsene mit Kindern sexuell tätig sind“. Ich denke, es müßte heißen: ...in denen Erwachsene gegen Kinder sexuell tätlich werden!

Im Geschäft mit der Kinderpornographie gibt es zwei Ebenen: einmal die private, zum anderen die professionelle.

In den letzten Jahren hat sich mit Zunahme und Verfügbarkeit von technischem Gerät der professionelle Markt ausgeweitet. Angeregt durch Ermunterungen wie diese: „Drehen Sie Ihren Porno doch mal selber“, wurden Hemmschwellen abgebaut. Der Schritt aus dem Schlafzimmer hin zum Markt, wird von einschlägigen Sexblättern gefördert. Es ist so tröstlich zu sehen, daß das Ehepaar Meyer von nebenan eben nicht die perfekten Pornostars sind. Mit denen kann man sich noch identifizieren!

Wen wundert's wenn Papa dann entdeckt, daß auch die Kinder mit einzubeziehen sind; ja, daß mit dem eigenen Mißbrauch an den Töchtern viel Geld zu verdienen ist. Das Risiko ist gering. Seit es die leicht zu bedienende Videokamera gibt, ist die Entdeckung durch das Fotolabor ausgeschlossen. Dank der Kommunikationsnetze kommt noch ein zusätzlicher, beruhigender Faktor hinzu. Der Täter aus dem Familienkreis merkt, daß er mit seinen „extremen Interessen“ nicht allein dasteht. Was viele Männer gut finden, kann für ihn nicht schlecht sein. Es erschließt sich für ihn ein immer größerer Markt. Per Annonce gibt er sich als Teeny-Fan aus und fragt, wer ihm Tips für Sri Lanka, Thailand und die Philippinen geben kann. So findet sich dann in der Dritten Welt die Szene aus der Ersten und Zweiten Welt wieder.

Kinder, die auf dem Pornographiemarkt angeboten werden, kommen nach Erfahrungen der Ermittlungsbehörden fast ausschließlich aus sozial schwachen Familien. Ich halte das für ein Fehlurteil bezogen auf unseren Kontinent. Zwar gibt es zum Beispiel in Deutschland gut funktionierende Teams, die in Arbeitsteilung Kinder ansprechen, eine Beziehung aufbauen bis dann der Fotograf dazukommt und die ersten Dreharbeiten beginnen. Auch trifft es zu, daß besonders bedürftige und einsame Kinder für Kontaktangebote Erwachsener dankbar sind. Dennoch ist anzunehmen, daß Mädchen und Jungen aus sogenannten besseren Kreisen nicht verschont bleiben.

Die kontaktsuchenden Täter sind häufig Unternehmer, Akademiker und Geschäftsleute bis hin zu Männern in hohen öffentlichen Positionen. Aus dem Strichermilieu ist bekannt, daß gerade dieser Personenkreis sich sattsam bedient.

Aus der Täterforschung weiß man, daß immer mehrere Opfer auf einen Täter kommen. Eine neuere Studie aus England besagt, daß 66 Prozent der Täter, die in der Familie mißbrauchen, dies auch bei Kindern tun, die nicht zu ihrem häuslichen Umfeld gehören.

Gerade Täter aus der oberen sozialen Schicht, die in und außerhalb der Familie mißbrauchen, gelingt es besser — aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position — den Mißbrauch in der eigenen Umgebung zu vertuschen. Das hängt auch mit unserer mangelnden Bereitschaft zusammen, einem sogenannten kultivierten Mann ein solches Verbrechen zuzutrauen.

Existenz der Bilder eine lebenslange Qual

Kinderpornographie und Kinderprostitution sind kein Teilaspekt vom sexuellen Mißbrauch, sondern dessen Verschärfung durch Vermarktung. In der Mehrzahl sind Mädchen die Opfer, besonders auf dem sogenannten Privatmarkt. Es gibt aber auch im Bereich der Homosexualität eine ausgeprägte Jungenszene. Auch hier liegt der Altersschwerpunkt wie bei den Mädchen unterhalb der Pubertätsgrenze; je jünger, desto besser.

In beiden Problembereichen — Pornographie wie Prostitution — spielt Öffentlichkeit eine große Rolle. Der Mißbrauch wird sichtbar, daß Mädchen, der Junge zur Ware. Im Bereich der Pornographie bedeuten die Existenz der Bilder und Filme für viele Kinder eine lebenslange Qual. Das Wissen, daß die Kassetten vielfach kopiert durch die Lande gehen, lassen kaum eine Möglichkeit der psychischen Verdrängung zu.

Jeder von uns kennt den Impuls ein peinliches Foto zu zerreißen oder wenigstens der Öffentlichkeit nicht preiszugeben. Wie muß es den Mädchen und Jungen gehen, die absolut keinen Einfluß darauf haben, diese Bilder zu stoppen oder zu vernichten?

Dieser sichtbare Beweis bedeutet dann auch für den Täter das eigentliche Risiko. Um den Mißbrauch so lange wie möglich aufrecht zu erhalten und den Profit zu sichern, muß das Opfer zum absoluten Gehorsam und zur Verschwiegenheit gezwungen werden.

In vielen Fällen ist die Grenze zwischen Kinderpornographie und Prostitution fließend, für den Konsumenten, wie für das Opfer. Sehr häufig wird auf dem privaten Markt erst die Kassette, dann das Kind angeboten. — Ein Anbieter, der seine drei Mädchen anpreist, 14, elf und sieben Jahre alt, schreibt einem Interessenten: „...gut finden wir auch, wenn Dirk einfach so außen drauf einer auf den Bauch spritzt. Man muß sie natürlich daran gewöhnen.“ Und weiter vorne, Zitat: „Warum kein Geschlechtsverkehr? Denkst Du, weil sie noch zu klein sind, weil sie bluten?...“

Pornographie und Prostitution werden von vielen Befürwortern als legales Ventil gepriesen, weil dadurch der sexuelle Umgang der Menschen untereinander weniger gewaltsam ausfällt.

Vom phantasierten zum realen Mißbrauch

Aus der therapeutischen Arbeit mit Sexualstraftätern aus England liegen Erkenntnisse vor, die wir schon immer vermutet haben: Viele Männer, die Mädchen und Jungen sexuell mißbrauchen, haben lange vor der tatsächlichen Attacke einen starken Drang, sich über Kinderbilder sexuell zu stimulieren. Da dienen selbstgemachte Fotos oder Bilder aus FKK-Heften als Vorlage. Mit der pornographischen Steigerung vom Foto hin zum beweglichen Bild im Film wird die Tat in der Phantasie vorbereitet. Der Schritt vom phantasierten zum tatsächlichen Mißbrauch ist dann oft nur noch eine Frage der Zeit, der günstigen Gelegenheit oder des Angebotes.

Der Unterschied zwischen dem sexuellen Mißbrauch der kleinen Tochter im stillen, privaten Kämmerlein und der sogenannten Kinderprostitution im Hotel oder im Auto ist lediglich einer, der von Männern konstruiert wird. Es gibt ihn nicht. Beides ist und bleibt sexueller Mißbrauch [Wann hört endlich der Mißbrauch des Wortes „Mißbrauch“ in diesem Zusammenhang auf? Das, worum es in diesem Artikel geht, ist doch wohl eindeutig sexuelle Gewalt gegen Kinder! Das Wort „Mißbrauch“ impliziert, daß es einen legitimen/legalen sexuellen Gebrauch von Kinder geben könnte. Und den gibt es nicht! d.säzzerIn] eines Kindes. Die Verantwortung liegt allein bei dem, der die Tat vollzieht.

Niemand kann einem Kind unterstellen, daß es freiwillig im Sexgeschäft tätig ist. Allein vom kognitiven und emotionallen Gefälle her, gibt es hier keine Gleichheit der Interessen zwischen Erwachsenen und Kindern. Der Weg hin zur Kinderpornographie und sexueller Ausbeutung ist ein erzwungener.

Es gehört nicht zum kindlichen Konzept, immer und immer wieder Sexualpraktiken über sich ergehen zu lassen, die seiner physischen und psychischen Entwicklung nicht entsprechen, die einer Folterung und Sklavenhaltung gleichkommen. Die Schädigung dieser Kinder für ihr späteres Leben ist oft von unermeßlicher Tragweite, ja existenzieller Bedeutung. Die Zerstörung einer sich entwickelnden sexuellen Identität bedeutet auch immer einen Verlust an Lebensqualität. Schwere gesundheitliche Störungen und psychische Beeinträchtigung bis hin zu Depressionen und Selbstzerstörungstendenzen können die Folge sein; eine Qual, die für viele oft nur mit Suchtmitteln zu betäuben ist.

Da bleibt zum Schluß die Frage: Woran liegt es, daß sexuelle Ausbeutung von Kindern gesellschaftlich so wenig Ächtung findet und die Opfer so selten Hilfe erhalten?

Spendenkonto:

Homann/Meyer-Andersen, Deutsche Bank, Hamburg, Konto: 5600 002, BLZ 200 700 00, Kennwort: „Dunkelziffer“. Mit den Spenden werden Projekte unterstützt, die sexuell mißbrauchten Kindern Hilfe und Beratung bieten, präventiv arbeiten, Diagnostik anbieten. Gefördert wurden bisher: „Wildwasser" (für Ost-Berlin), „Strohhalm" (Prävention an Schulen und Kitas)

Die Autorin ist Sozialarbeiterin bei „Wildwasser", Beratungsstelle für sexuell mißbrauchte Mädchen und Frauen, in Berlin. Ihren Vortrag hielt sie am 16. September in Berlin anläßlich einer Diskussionsveranstaltung zum Thema „Kinderpornographie und Kinderprostitution“.

Quellenhinweis:

1)Anhörung von von Sachverständigen vor der Kinderkommission des Deutschen Bundestages 29.3.90

2)Dunkelziffer, Goldmann Verlag 1990