Pampelmütter, Hampelsöhne

■ 3. Premiere im Bremer Sprechtheater: Javier Tomeos „Mütter und Söhne“ / Schnöder Ödi oder öde Schnösel?

Hach, Söhne ham–s aber auch schwer. Ich sag– nur: Mutter. Gell, das klingelt auch bei Ihnen und Ihnen da hinten gleich verdammt nach Ödipus, dem Schnödelwurz, und auch sonst noch nach allerhand Knechtschaft, Liebeshaß und Hänschenklein ohne Stock und Hut. So weit, so geklärt. Oder ist das etwa etwas, was zu beweisen wär–?

Jajaja, findet das Theater, und läßt uns fast zwei lange Stunden zwei mutterseligen Hänschenkleins beim Sprechen im Stehen zusehen. Was zwar auch nichts beweist, aber so sind wir immerhin von der Straße weg.

Das Bremer Theater hat sich Javier Tomeos Romans „Mütter und Söhne“ angenommen und will anhand des als bizarr verschmitzt gelobten spanischen Autors (Jahrgang '32) eine Art Einsamkeit aufzeigen, vermutlich des Individuums im allgemeinen und des Sohnes im besonderen. Wozu selbstverständlich gescheiterte Dialoge gehören, die gescheit sein wollen und dazu, dochdoch, noch nett sein sollen — im Sinne von pointengeilem Effekthachee à la: „Wer ist Mazurka von Chopin?“, oder „Ma, Mama, Maccaroni“, oder „Es gibt Esel, die sich für Hirsche halten und beim Springen das Genick brechen, iaah, iaah, iaah!!“. Har, har. Aber das Publikum ist gerne schnell platt und zutiefst lachbereit.

Okay, schlappe Satzlappen sind zunächst dem Autor anzuhängen. Und Javier Tomeo scheint einer zu sein, der auf den Dingen, in diesem Fall Müttern und Söhnen, gerne mit surrealem Schmackes herumreitet, ohne dabei wirklich zu fremdeln oder gar zu verstören: Zur Not geht das Surreale auch als Neurose durch. Das Personal von so einem Autor ist dann natürlich einer — tüfteltüftel — Versuchs-Anordnung entsprungen: Ein Muttersohn (!) bewirbt sich um die Nachtwächterstelle (!) bei einer Bank (!) und hat es dort mit einem Personalchef (!) zu tun, der ebenfalls eine Mutter (!) hatte — um diese imaginäre Schmerzensreiche hat Tomeo seine zwei Hampelsohnemänner geordnet, das sind aber auch zwei schattige Graumäuse! Und man könnte meinen, mit Strumpfköpfen wie bei Bankräubers; das machen aber nur das aschfahl gestrichene Gesicht und die fliehenden Haare und der Gaze-Streifen als vierte Wand, der stippt die zwei in graues Milchglas.

Auf der schiefebenen Bühne simulieren links ein Waschbecken vor Riesen-Duschvorhang und rechts eine torgroße Öffnung eine Örtlichkeit. Wir ahnen: kein Ort. Oben lecken blutorangene Feuerzungen an der Decke. Das Stück spielt also womöglich in der Gluthitze des spanischen Nachmittags. Und während sich hinter der Öffnung Mütter-Komparsinnen — gegeben von den zwei bremischen Altentheatergruppen „Silberlocken“ und Knitterfrei“ — in den Takten törichter Tätigkeiten wiegen, hangeln sich Soeren Langfeld als Sohn Krugger und Lutz Herkenrath als Sohn Juan D. (Don Juan? Nachtigallgetrapse eventuell, man weiß nur nicht, auf was genau der Herr hier verweisen könnte) am Scheiter-Dialog entlang und plappern neckisch sinnlos über Musik, Literatur, Spiegeleier mit Paprikawurst und diversere Einzelheiten; über allem aber als unsichtbarer Gipfel: Mutter — eine Chronik scherzhafter Feindseligkeit, mit offener Muttermörder-Pointe am Schluß.

Axel Richter, Gastregisseur aus der Ex-DDR, hat seine beiden Spieler zu eruptivem Gestelze und distanzierter Schwadronesse angehalten. Guter Gott Brecht. Zwischen all den Sprechreizen dürfen die zwei aber aus unerfindlichen Gründen auch mal brüllen oder sich gar hin- und aufeinanderwerfen, v.a. deshalb, damit sie wieder aufstehen können und wir merken, hier sei Dramaturgie im Spiele oder eine Art Spannungsbogen. Meist stehen sie sich aber die Beine in den Bauch oder wippen kippelnd, das ist wegen der mangelnden Standfestigkeit und also wieder wegen Mutter.

Fast tun einem die zwei Schauspieler leid, deren vorhandene Ausdruckskraft so im Stich gelassen dümpelt. Fast möchte man ihnen für–s nächste Mal was Blutvolleres wünschen, womöglich mit Handlung. Ruhig auch trostlos. Vielleicht irgendwas Theatralisches? Warmer Beifall-Regen, Bravo-Rufen von Kollegen. Im übrigen etliche leere Sitze. Claudia Kohlhase