Matchball auf dem Friedhof

■ Viel Mühe für Stich beim Auftaktmatch gegen den entfesselten Charly Steeb in Berlin/ Skurrile Maloche mit grottenschlechten Linienrichtern ohne Zuschauer

Berlin (taz) — Turnierdirektor Jochen Grosse wird Blut und Wasser geschwitzt haben: Sein einziges echtes Zugpferd für das Berliner Turnier, Michael Stich, drohte auszuscheiden. Spektakulärerweise in der ersten Runde, und delikaterweise gegen seinen Davis-Cup-Kumpel und Trainingskumpan Carl-Uwe Steeb. Dies wäre wohl der Todesstoß gewesen für die Veranstaltung, denn trotz eines Wimbledon-Siegers verläuft sich kaum ein Berliner in die 8.000 Zuschauer fassende Deutschlandhalle. Selbst beim Hit Stich-Steeb verteilten sich nur 1.800 Fans möglichst gleichmäßig um den Court. Steeb ironisch: „Das war der Höhepunkt heute, was? Ziemlich traurige Kulisse. Wir hatten mehr Stimmung erwartet.“

Jedoch, die Leute müssen nicht kommen. Der gesamte Etat ist über Sponsoren gesichert. „Wir kommen ohne Zuschauer aus“, frohlockte Grosse. Ob seine Freude die Fans zum Kartenkauf animierte, sei dahingestellt. Fest steht hingegen, daß die Spieler wenig erbaut sind, in friedhofsähnlicher Atmosphäre zu spielen. Wenn das Showelement fehlt, ist Tennis nur noch harte Arbeit. Und als solche skurril lächerlich. Charly Steeb war stocksauer, als er beim Doppel mit Eric Jelen gar in einer benachbarten „Bruchbude ohne Zuschauerplätze“ malochen mußte, während auf dem Centre Court zwei Einzel ohne deutsche Beteiligung stattfanden — vor leeren Rängen. Zudem sind die Linienrichter grottenschlecht. Steeb: „Störend, wie schlecht die waren.“ Der Grund: Grosse hatte sich mit der Berliner Schiedsrichtervereinigung angelegt, die ihm daraufhin nur die zweite Garnitur schickten. Zu allem Unglück sagten schließlich die Franzosen Henri Leconte, Yannik Noah und Guy Forget ab. Viel Lorbeer gibt es also nicht zu ernten für den 66jährgen Turnierdirektor, und nur sein Ruf rettet ihn vor dem völligen Verriß. Er gilt als der erste deutsche Turnierveranstalter, der zudem ein Herz für den Nachwuchs besitzt.

So ringt sich Stich einige anerkennende Worte über den guten Boden etc. ab und betont, daß Berlin ein Herrenturnier doch gut tut. „Wenn das Preisgeld erhöht wird, kommen auch die anderen.“ Die nämlich spielen gerade in Tokio um erheblich mehr Geld. Die ganz gute Laune schien Stich jedoch abzugehen. Steeb, der seinen Einzel-Platz im Daviscup-Team für Stich räumen mußte, ordnete sich nicht ordnungsgemäß unter. Nachdem er den ersten Satz klar mit 2:6 abgegeben hatte, wehrte er sich. Pantherartig sprang er jeden Ball an, rannte ans Netz, klotzte mit aller Kraft, erlief fast alles. „Come on, Charly, tu' noch 'ne Milschschnitte rein“, feuerten ihn die Fans an. Den mißmutig dreinschlurfenden, mosernden Stich schien man kaum zu bemerken. Steeb holte den zweiten Satz 6:3, doch der finale Triumph war ihm nicht vergönnt. Nach mehreren Breakchancen ließ er sich den Aufschlag zum 6:5 für Stich abnehmen, der Satz drei mit 7:5 und damit das Match gewann. Wütend schmiß Steeb das Racket zu Boden, und Stich gestand: „Es war nur ein Ball, der entschied.“ miß

Berlin, 1. Runde: Wolkow - Saceanu (Neuss) 6:7, 6:3, 2. Runde: Bruguera (Spanien) — Zoecke (Berlin) 6:3, 1:6, 6:3, Pioline (Frankreich) - Curren (USA) 6:3, 6:2, Kühnen (Bamberg) - Mayotte (USA) 3:6, 7:5, 6:4,7:6.