Die wilde Jagd zur Rugby-Sonne

■ Titelverteidiger Neuseeland und Australien bestätigen in der Vorrunde ihre Favoritenstellung bei der zweiten Rugby-Weltmeisterschaft, die in fünf Nationen ausgetragen wird/ Wales am Abgrund

Berlin (taz) — Es gibt wenige Dinge in Großbritannien, die über ein gutes Rugby-Match gehen. Und so wird der zweiten Weltmeisterschaft in diesem Sport eine Aufmerksamkeit zuteil, wie sie sonst allenfalls einer Fußball-Weltmeisterschaft gewidmet wird. In fünf Nationen — England, Wales, Schottland, Irland und Frankreich — kämpfen sechzehn Länderteams um den Einzug ins Finale, das am 2. November in Twickenham statfinden wird. Zwar waren die spektakulärsten Partien schon im voraus ausverkauft, in erster Linie ist dieses Turnier jedoch eine Fernsehweltmeisterschaft. Für 21 Millionen Mark hat die TV-Gesellschaft ITV die Rechte eingekauft, insgesamt überträgt sie 26 Matches live.

Vor allem die englischen Rugby- Funktionäre versprechen sich von dieser breiten Berichterstattung einen weiteren Aufschwung ihres Sports; bereits nach der WM 1987 in Neuseeland, die von den Gastgebern gewonnen wurde, stieg die Zahl der englischen Schulkinder, die Rugby spielen, um 15 Prozent.

In vier Gruppen wird die Vorrunde absolviert, die beiden Erstplazierten jedes „Pools“ ziehen in das Viertelfinale ein. Seit 1987 ist die Weltspitze näher zusammengerückt, Mannschaften wie die der Fidschi- Inseln, Rumäniens oder Kanadas dürfen keinesfalls unterschätzt werden. Das mußten vor allem die Waliser erfahren, die in ihrem Gruppenspiel gegen West-Samoa ausgerechnet im Cardiff Arms Park die wohl bitterste Niederlage ihrer Geschichte hinnehmen mußten. „Wenn wir nicht gewinnen, wird die Welt zusammenbrechen, soweit es die Waliser angeht“, hatte Kapitän Ieuan Evans vorher orakelt. Ganz so schlimm kam es nicht, doch böse Konsequenzen könnte die Blamage durchaus haben. Wird das Viertelfinale verpaßt, muß Wales in die Vorqualifikation für die WM 1995. Nicht auszudenken für das Rugby- süchtige Ländchen, dessen Coach Alan Davies, geboren in Ynysybwl, gerade vollmundig versprochen hatte, das walisische Rugby wieder in die Weltspitze zu führen.

West-Samoa hingegen, das etliche Akteure aus Neuseeland in seinen Reihen hat, darf sich Hoffnungen auf das Viertelfinale machen. „Wenn wir die Runde der letzten acht erreichen, wären wir über dem Mond“, schwärmt Manager Bryan Williams, „das würde uns einen Platz in der Rugby-Sonne sichern.“

Etwas Balsam gab es für die Waliser, als sie am Mittwoch in einem schwachen Spiel mit 16:7 gegen Argentinien gewannen und sich Turnierfavorit Australien ebenfalls sehr schwer tat gegen West-Samoa. Drei Strafkicks von Michael Lynagh, dem Punktweltrekordler in internationalen Spielen, brachten den „Wallabies“ vom fünften Kontinent mitten in einem Regenguß von pazifischen Ausmaßen den kargen 9:3-Erfolg. Das Publikum im walisischen Pontypool war erleichtert. „Nun, mein Junge, jetzt fühle ich mich ein verdammtes Stück besser“, sagte ein durchnäßter Zuschauer.

Erleichtert war auch Australiens Coach Bob Dwyer. „Wir waren ernsthaft besorgt.“ Die Australier sind ebenso wie Titelverteidiger Neuseeland noch ungeschlagen und alles scheint darauf hinzudeuten, daß Dublins Landsdowne Park am 27. Oktober ein vorweggenommenes Endspiel erleben wird, wenn die beiden Teams von „Down Under“ im Halbfinale aufeinanderprallen.

Dann wird vieles davon abhängen, in welcher Form sich Australiens Superstar David Campese befinden wird, der Mann, der den Rekord der meisten „Versuche“ im internationalen Rugby hält. Wie kein anderer vermag sich Campese dem Zugriff der Gegner zu entziehen, seine Zickzack-Läufe lassen ganze Abwehrreihen in Verzweiflung ausbrechen, seine Fähigkeit, das Lederei von einer Hand in die andere zu jonglieren, ist unerreicht. Er ist schnell, wendig und unberechenbar — ein Maradona des Rugby, der auch an Exzentrizität dem argentinischen Fußballheroen nicht nachsteht.

Im Gegensatz zu Maradona verschmäht er allerdings Diskothekentrips, Barbesuche und Saufgelage, stattdessen schließt er sich lieber Musik hörend in seinem Zimmer ein. Als letzter pflegt er das Spielfeld zu betreten, als erster verläßt er es wieder, im Mannschaftsbus sitzt er immer auf dem selben Platz, und wehe dem, der dort sein eigenes Hinterteil parkt. Auf Kritik reagiert Campese furienartig und in seiner Autobiographie On a Wing and a Prayer vollführte er einen schmähenden Rundumschlag, von dem kaum ein Funktionär, Sponsor, Trainer oder Mitspieler verschont blieb.

Liebe wird David Campese in Australien unter diesen Umständen nicht gerade entgegengebracht, dennoch würde es die Nation schwer treffen, wenn er seine Ankündigung, nach der WM zurückzutreten, wahrmachen würde. Besonders, wenn es ihm tatsächlich gelingen sollte, den ungeliebten neuseeländischen „All Blacks“ in Dublin das Fürchten zu lehren. Matti