„Gewalttätige Proteste? — Nein, das ist nicht Thai-Art“

Anders als in Berlin müssen die Finanzminister, Noten- und Geschäftsbankchefs nicht mit Störungen der IWF-Tagung rechnen — trotz der Putschgerüchte  ■ Aus Bangkok Thomas Bonk

Zoff wie in Berlin 1988, dem letzten Tagungsort von Weltbank und IWF außerhalb Washingtons, wird es nächste Woche in Bangkok wohl nicht geben. „Störungen? Nein, das ist ganz sicher nicht Thai-Art“, sagte Paibun Wattanasiritham, einer der Organisatoren des Gegenkongresses in der Chulalongkorn-Universität am Mittwoch abend vor ausländischen Journalisten.

Vorsichtshalber hat der Oberbefehlshaber der Armee, Suchinda Kraprayun, der starke Mann der mit dem Putsch vom Februar 1991 an die Macht gekommenen Militärjunta, aber ein hartes Durchgreifen gegen Störenfriede angekündigt. Mit dem Vorschlag eines Demonstrationsverbotes für die Zeit der Weltbank-Tagung war er bei der um demokratisches Ansehen bemühten politischen Führung nicht durchgekommen. Der 14. Oktober ist bei Studenten traditioneller Gedenktag für die blutigen Unruhen von 1973, bei denen Hunderttausende auf die Straße gingen und das damalige Militärregime stürzten.

Harmonie ist im Land des tausendfachen Lächelns oberstes Gebot. So hat auch die Weltbank einem Streitpunkt das Wasser abgegraben: Eine Entscheidung über einen Kredit für den umstrittenen Staudamm Pak Mun wurde auf unbestimmte Zeit vertagt. Flugs erklärte die Regierung, sie habe das Geld ohnehin nicht nötig (siehe Seite 7).

Der Musterknabe von IWF und Weltbank kann auf deren Hilfe allmählich verzichten. Thailand vergibt nun selber Entwicklungshilfe — an die Nachbarn Laos, Kambodscha und vielleicht auch an Vietnam, wenn die dortigen Kommunisten ihre Märkte für thailändisches Plastikgeschirr und zusmmengeschraubte japanische Autos öffnen.

So putzt sich Bangkok dieser Tage weniger für Finanzminister und Notenbankchefs heraus. Hofiert wird vielmehr der Troß privater Banker, die über die Gelder von Investoren aus Japan, USA und Europa mit zu entscheiden haben.

Eine Thailänderin poliert mit einem übergroßen Staubwedel den schwarzen Marmor im Eingang zum Kongreßzentrum für die größte Tagung Thailands. Ihr Kollege wischt immer wieder über Glastüren und Messinggriffe: Alles soll glänzen für den Massenauflauf von 10.000 Finanzministern, Bankern und Journalisten in Bangkok. Doch als der erste Regen fällt, muß ein ordinärer Fußabtreter auf den edlen Stein — die Banker könnten sonst mit ihren feinen Lederschuhen ausrutschen.

Kongreßzentrum: Klotzen statt kleckern

Beim Bau des nach König Sirikrit benannten Kongreßzentrums galt die Devise „Klotzen, nicht kleckern“. An einem See der staatlichen Tabakmonopolgesellschaft im Herzen Bangkoks wurde ein weiträumiger Koloß aus Stahlrohr, Glas und Holzschnitzereien für 150 Millionen Mark extra für diese Tagung in nur 20 Monaten hochgezogen. Wie auch sonst in der Stadt, hatten Bauarbeiter sieben Tage die Woche rund und die Uhr gewerkelt. Leben mußten sie derweil meist im Rohbau — sonst gäbe es für sie ohnehin keinerlei Platz in der überfüllten Acht-Millionen-Metropole. Jeder vierte Bangkokian wohnt nach Schätzungen von Fachleuten in einem der 1.000 Slums.

Gleich gegenüber vom Tageszentrum liegt eine dieser Siedlungen, eingekeilt zwischen der achtspurigen Straße und Häuserwänden. Die Bretterbuden haben einen bunten Anstrich bekommen, um den Besuch nicht allzusehr zu erschrecken. Daß sie überhaupt bleiben durften, haben die Slumbewohner dem von der Junta eingesetzen Premierminister Anand Panyarachun zu verdanken: Nach einer Visite des Kongreßzentrums schaute der angesehene Politiker bei den Slumbewohnern vorbei und versprach ihnen, bleiben zu können. Später kamen dann Soldaten und Polizei und putzten die Buden zum Vorzeigeslum heraus.

Ein paar hundert Meter weiter wurde weniger einfühlsam verfahren: Hunderte von Stelzenhäusern wurden über einem Sumpf neben der Auto- und Hafenbahn einfach einplaniert. Banker und Journalistinnen hätten auf dem Weg von den Luxushotels zum Luxuszentrum aus ihren Luxusbussen heraus einen allzu tiefen Blick auf die Schattenseiten des gnadenlosen thailändischen Wirtschaftswachstums werfen können — an der Ecke staut sich der Verkehr oft eine halbe Stunde lang.

Abgesehen von den Begrüßungsbannern und Blumenkübeln mit lila Orchideen hält sich der Aufwand noch in Grenzen. Zwar gibt es zwei Feiertage für Schüler, Bankangestellte und Beamte. Aber nicht zum Fähnchenschwingen. Sie sollen bloß zu Hause bleiben. So hofft die Polizei, daß ihre 7.000 Mann starke Sondertruppe den Verkehr im Zaum hält und die VIPs sicher begleitet. Bangkok ist zwar bekannt für stundenlange Staus, doch soll den ungeübten Promis diese Nervenstrapaze erspart bleiben.

Vom Harmonieideal weit entfernt präsentieren sich derzeit Militärs und Politiker. Eine neue Verfassung, die die Generäle nach dem Putsch in Auftrag gegeben haben, wird derzeit in der weitgehend von ihnen selbst berufenen Nationalversammlung beraten. Sie soll die Grundlage für Neuwahlen bilden — deren Zeitpunkt und Modalitäten aber noch unklar sind.

Kritische Intellektuelle müssen untertauchen

Der prominente Buddhist und Vertreter eines eigenständigen Entwicklungsweges für Thailand, Professor Sulak Sivaraksa, mußte jüngst untertauchen und das Land verlassen. Er hatte der Militärjunta, die sich „National Peace-Keeping Council“ nennt, vorgeworfen, mit der neuen Verfassung eine permanente Militärdiktatur installieren zu wollen. Luftwaffenchef Rojananin verlangte bereits den Rücktritt der von der Junta eingesetzten Regierung, falls die Verfassung im Parlament durchfalle — die Regierung ist allerdings bei den Beratungen nicht beteiligt.

Der Kurs Anands und seiner meist zivilen Ministern findet weniger bei den Truppen als vielmehr bei Geschäftsleuten und der Bevölkerung Anklang — mit Programmen zur Dezentralisierung und mit Zollsenkungen für Autos und Computer. Innerhalb des Militärs ist die gegenwärtige Junta nicht unumstritten. So wurde in den Zeitungen offen über einen neuerlichen Putsch spekuliert. Die Armee ließ das Gerücht sogar offiziell dementiern.

Aus purer Gastfreundschaft, die alljährlich Millionen von Touristen zu schätzen lernen, beherbergt Thailand den Bankerauflauf aber nicht. Die Tagung soll sich für das Königreich rechnen: 60 Millionen Mark in cash sollen nach den Wünschen von Geschäftsleuten die Delegierten und Banker ausgeben. Juweliere wurden schon ermahnt, nicht Blech und Glas für teuren Schmuck zu verkaufen. Dirnen und allzu schrille Transvestiten will die Polizei für ein paar Tage aus dem Straßenbild verbannen. Dennoch dürften die Banker ihren Weg in die Massagesalons in der Patpong und den anderen Bordellvierteln finden. Warnungen vor Aids haben sich die Behörden diesmal verkniffen — die gab es zuletzt, als amerikanische Seeleute nach dem Golfkrieg zu Tausenden über den Badeort Pattaya herfielen.