Fly Iberia

■ »Four Pieces« von Chema Alvargonzales in der Bergmannstraße 110

Nach dem Sprung wandelt sich in unserem Bewußtsein die Geographie: abseits der Grenzen unserer Schulatlanten entstehen neue Territorien. Wir können gleichzeitig die Wellen des Mittelmeeres und die kalten Lüfte Zentraleuropas spüren. Alles ist bei uns, in unserem kleinen Koffer: unsere Welt. Die Linien, die sie kartographieren, sind unsere Geschichte.«

Der spanische Künstler Chema Alvargonzalez, von dem dieser einleitende Absatz stammt, lädt die Besucher seiner »akustischen Installationen« zu einer imaginären Reise ein. In den vier Räumen der Bergmannstraße 110 hat Alvargonzalez aus Reisekoffern, auf Transparent gezogenen, von hinten beleuchteten Fotos, Landkarten und vom Tonband kommenden Geräuschen Installationen mit vielschichtig metaphorischem Charakter gebaut. Die einzelnen Bestandteile wirken wie Begriffe einer Sprache, die mit Schrift, Klang und Bild gleichzeitig arbeitet. Ihr Ausdrucksspektrum reicht von eindeutig entzifferbaren Worten, Sätzen (allerdings auf spanisch) und Symbolen bis zu vagen optischen und akustischen Signalen, die als Katalysatoren der Vorstellungskraft ganz auf das Einfühlungsvermögen des einzelnen angewiesen sind.

Jede der vier Installationen ist einem mehr oder weniger poetisch-abstrakten thematischen Zusammenhang gewidmet. Im ersten Raum heißt das Motto »Wasser«. Alvargonzalez' metaphorisches Verständnis spiegelt sich in dem Einsatz der akustischen Kulisse. Aus den Lautsprechern kommt das Geräusch des Wasserstrahls einer Dusche. Es soll einerseits die Assoziationen auf den Begriff »Wasser« lenken, sich andererseits — stellvertretend für die folgenden Arbeiten — über den Gast legen, genauso wie das Wasser, dessen Ton aufgenommen wurde, von oben kam. Durch diese bildliche Spaltung verhindert Alvargonzalez, daß die Thematisierung des Urstoffs Wasser einen pathetischen Zug erhält.

Gleiches gilt für die zweite Naturgewalt, derer sich der Künstler annimmt, die Luft. Auch hier geht es ihm nicht um den metaphysischen Gehalt des Elements. Für Alvargonzalez liegt das Rätsel, das die Atmosphäre heute birgt, nicht auf dem Gebiet der Religion, sondern der Physik. So transportiert sich die zunehmende weltweite Vernetzung von Datenbanken für uns unsichtbar; die Luft, die wir für Wetter halten, füllt sich mehr und mehr mit in elektronischen Frequenzen digitalisierten Informationen. Sie ist die Metapher zeitgemäßer Kommunikation. Dementsprechend befinden sich in diesem Raum Bilder und Paraphrasen menschlicher Vereinsamung, aber auch der kreativen Kraft, die aus solchen zeitlosen Momenten der Kälte und Neutralität entstehen kann. Darüber liegt ein durchdringendes Windgeräusch.

Das gleiche Rauschen ist im dritten Zimmer zu hören, in dem ein dreidimensionales »Gemälde« aus Koffern, Lampen und elektronisch vierfach gebrochenen Fotos der illuminierten New Yorker Freiheitsstatue als Umschreibung nur noch über Medien erfahrbarer Ereignisse plaziert ist. Im vierten Raum stehen unzählige Ansichten derselben Stadt — von einzelnen Niedervoltleuchten angestrahlt — für die individuelle Sicht auf den gleichen Gegenstand.

Eine Vitrine vor diesem letzten Raum zeigt die Essenz der Präsentation. Hier stellt Alvargonzalez die Ikonen einer vermeintlichen Objektivität aus. Landkarten und Erinnerungsfotos. Landkarten, die die Erde bis in die entlegenste Region wiedergeben, strukturieren und so von der Welt Besitz ergreifen; und sich dennoch nach den neuesten wissenschaftlichen oder politischen Beschlüssen ändern müssen. Sie hat Alvargonzalez durch zeichnerischen Eingriff, durch eigene geographische Linien und Flächen in den Schatz der persönlichen Erzählungen eingereiht. Die Fotos stehen daneben als Teil des Gedächtnisses, den man benutzen, ihm aber nicht vertrauen darf. So geht alles Allgemeingültige über in persönliche Erinnerungen. Ulrich Clewing

Bis zum 27. 10., do.-so. von 16-20 Uhr, in der Galerie Bergmannstraße 110, Berlin 61