„Wedemeier wird es schon wurschteln“

■ Interview mit dem früheren Bildungssenator Franke zur Lage der Bremer SPD / Über die Schwächen des Bürgermeisters Wedemeier, die innerparteilich „tote“ Regierungs-SPD und Frankes Argumente gegen die Ampel

Was treibt Sie, nach jahrelanger Arbeit im Senat nun den Basisschreck zu spielen?

Thomas Franke: Ich habe mich auch gefragt, ob ich als Pensionär noch einmal mit Hilfe der Medien in die Arena steigen soll. Aber ich erlebe, wo ich im Ruhestand bin, eine tote Partei. Wenn der Bürger nur noch Regierungsdekrete zur Kenntnis nimmt, neben den aufgerissenen Straßen und den zu teuren Bauwerken wie Kongreßzentrum und Luxus-Pissoir, dann verliert er die Lust.

Die Partei ist tot

Wenn er aber merkt, daß diese Partei in sich den Spannungsbogen aufbaut und sich selber an die Kehle geht, wenn so etwas sich dem Wähler mitteilt, dann hat er das Gefühl, daß da Leben in der Politik ist. Dieser Zustand ist weg, es ist eine tote Partei.

Die Partei ist ausgerechnet dann gestorben, als Franke in Pension ging?

Ich habe natürlich nicht als Mitglied des Senats die Basis mobilisieren können. Das Zusammenbrechen einer innerparteilichen Kontrollfunktion der Basis ist nach dem kurzen Zwischenspiel von Herbert Brückner (als Parteivorsitzender, d. Red.) passiert. Als sein politisches Wirken durch den Galla-Skandal und die damit verbundene Filz-Diskussion beendet wurde, da war 'tabula rasa'. Das ist die eigentliche Zäsur gewesen.

An der Basis?

Basis artikuliert sich niemals als anonyme Massenbewegung, Basis ist abhängig von Wortführern, die bereit sind, ein Risiko einzugehen.

Ilse Janz als Vorsitzende war also eine Fehlbesetzung.

Ilse Janz ist eine Frau, die das Problem sehr genau sieht. Als Abgeordnete in Bonn ist sie eine Weile immer aus Bremen weg..

Ilse Janz weiß, daß sie überfordert war

Sie kommt aus Bremerhaven und hat eine gewisse Distanz zum stadtbremischen Geschenen, wo die eigentlichen Entscheidungen fallen. Ich denke, daß sie selber sich unwohl gefühlt hat. Ich glaube, sie war überfordert, es ist nicht so, daß sie Lust an diesem

Absterben der Partei gehabt hat.

Wer sind jetzt die neuen Herausforderer?

Die sind auf absehbare Zeit in dieser Partei nicht in Sicht. Es gibt nur abgestempelte Anti-Redner, aber die sind nicht die Meinungsführer mit einer breiteren Basis.

Detmar Leo oder: Wir wollen niemandem weh tun

In der Asyldebatte zum Beispiel sind verhängnisvolle Fehler hier in Bremen gemacht worden — die Partei schluckt es, wenn ihr vom Spitzenkandidaten erklärt wird: Wenn wir das nicht so gemacht hätten, dann wäre es noch ganz anders gekommen. Die Partei akzeptiert eine Position, die sagt: Ohne unsere Asyldebatte wären es vielleicht 20 Prozent minus geworden... Wobei Niedersachsen bewiesen hat, daß die Asyldebatte keineswegs zu solchen Einbrüchen führen muß.

Der Fisch stinkt immer vom Kopf her.

Wedemeier kann sich nur des Umfeldes bedienen, das sich ihm anbietet. Nehmen wir die große kritische Hoffnung Detmar Leo, Unterbezirksvorsitzender Bremen-Nord. Ich denke, seine Kritik ist typisch für dieses Machtkartell: Einerseits schlägt er sich an die Brust und sagt, es muß alles zur Disposition gestellt werden. Und gleichzeitig sagt er: Wir brauchen keine Aufrechnung zu beginnen. Das bedeutet: Wir wollen hart kritisieren, aber wir wollen niemandem weh tun. Das ist die äußerste Position, die im Augenblick artikuliert wird. Das ist doch typisch dafür, daß es radikale Wortführer nicht gibt. Und in diesem System ist Wedemeier Meister. Er ist ein Verknüpfungsmeister darin, sich solcher Strukturen zu bedienen, die sich austariert um ihn gruppieren.

Wer sich nicht einfügt, wird einen Kopf kürzer gemacht.

Ich glaube nicht daran. Ich glaube, daß man nur ein bißchen Stehvermögen haben muß. Im Augenblick ist das Stehvermögen gar nicht so groß, das man haben muß. Denn das Desaster ist so gewaltig, und das Desaster wird sich in der kommenden Legislaturperiode fortsetzen, es wird soviel Scheiße hochkochen. Jemand, der jetzt wirkliche Antipositonen fundiert formuliert, der riskiert

doch nichts. Der riskiert, daß man ihm in einem oder zwei Jahren sagt: Junge, du hast es gewußt. Da muß man nur ein bißchen durchhalten.

Innerhalb der Diskussion der SPD wird oft in den mißglückten Senatsumbildungen 1988 der Wendepunkte gesucht...

Wie dilettantisch die Chance eines Neuanfangs vertan wurde! Das ist ein klares Versagen, das weiß Wedemeier auch selber, da gab es nur ein Bäumchen-Wechsle-Spiel und die Sabine Uhl rein, damit Bremen-Nord proporzmäßig abgedeckelt ist, und damit schien alles in Ordnung.

Hat Senator Franke das einmal angesprochen?

Ich bin nicht der Oberkritiker der anderen gewesen, sondern habe gesehen, daß ich auch einmal die Zustimmung des Senats für meine Sachen brauche. Ich denke, daß sowas nur möglich gewesen

wäre, wenn man ab und zu Freundesgespräche gehabt hätte. Wenn der Bürgermeister einen der Senatoren mal angesprochen hätte, wie das bei Koschnick passiert ist, der sagte: Komm mal zu mir, wir trinken einen und können mal reden. Und da hat man auch mal offene Worte gesagt, das gab es nicht in einer offiziellen Sitzung, auch nicht in einer Suppenrunde.

Wedemeier ist ein einsamer Mann

Das ist eine der Schwächen von Wedemeier. Was mich wahnsinnig überrascht hat, daß Wedemeier solche Gespräche überhaupt nicht zuläßt. Wedemeier hat kaum Freunde und Berater, ich weiß nicht, woran das liegt, aber Wedemeier ist wirklich ein einsamer Mensch auch im Senat. Gerade ein Regierungschef braucht aber solche Intimgesprä

che, weil die Gefahr der Einsamkeit da ist. Er muß auch mal mit ausgebufften Freunden reden können. Das habe ich nie erlebt, auch Grobecker und andere nicht. Wir haben uns immer nur in offiziellen Runden artikulieren können und da sorgt man natürlich vor allem für sein Ressort.

1985 hat es den großen Streit gegeben, wer Nachfolger von Koschnick werden soll. War es richtig, auf Wedemeier zu setzen? Hat das nicht das Profil der Sozialdemokratie nachhaltig geschwächt?

Franke: Ich habe damals für Wedemeier geredet. Ich bin immer noch der Meinung, daß der Henning Scherf kein guter Bürgermeister geworden wäre. Dessen Talent ist nicht das, was ein Bürgermeister haben muß, die Konsequenz und Härte im Durchsetzen. Im Rathaus kann man nicht mit Umarmungen und Küssen regieren.

Für Wedemeier sprach eine ganze Menge. Nun ist eine gewisse Ernüchterung da und man merkt, daß auch viel gegen Wedemeier spricht: Es spricht gegen Wedemeier, daß er selber keine Stärke im Entwickeln von Konzeption, von kühnen Innovationsgedanken hat, das hat er nicht, und leider Gottes - das ist ein Defizit , das seine eigentliche Schwäche ausmacht — hat er auch nicht verstanden, sich den Beraterstab heranziehen, der ihm das bringt, was er selber nicht denkt. Das Rathaus ist kein Platz von Innovationsköpfen, es gibt den einen oder andern, sicherlich, aber insgesamt hängt das Rathaus an dieser Stelle durch. Wedemeiers Stärke liegt darin, Aufgearbeitetes sehr genau zu beherrschen. Er ist ein sehr fleißiger Mann, immer auf der Höhe der Aktenlage, der also die Entscheidungsstränge wirklich durchschaut und auf den Punkt bringt. Aber ein Bürgermeister muß in einer kritischen Situation, wie sie Bremen erlebt, mehr machen als auf die Entscheidungsstränge achten. Der muß im Grunde genommen die Entscheidungsstränge selbstkritisch hinterfragen und muß sagen: Freund, was ihr mir da bringt, ist Scheiße, und nun bringt so 'ne Vorlage schnell wieder weg. Dieses Reingehen, das hat er merkwürdigerweise nicht gemacht. Ich habe fast den Eindruck, und das ist eine große Überraschung, die ich erlebt habe, weil ich ihn in all unseren Gemeinsamkeiten früher so nicht eingeschätzt habe: Seit er Regierungs-Chef ist, ist er ängstlich geworden.

Und dieses Durchhängen in der Koalitionsdebatte?

Es ist ja auch 'ne Scheißsituation. Ich habe selber frühzeitig mal den Gedanken einer Großen Koalition ventiliert, aber das brächte für Bremen überhaupt nichts.

Der Nölle ist in Bonn elend auf die Fresse gefallen

Die CDU hat außer Stimmen in der Bürgerschaft beim Abstimmen inhaltlich leider zur Sanierung des Stadtstaates Bremen nichts anzubieten. Nölle wäre ein Koalitionspartner, an dem auch die Partei nicht vorbeigehen könnte, wenn er garantieren könnte, daß mit ihm Bonn zahlt. Aber das kann der nicht. Der Nölle ist in Bonn so elend auf die Fresse gefallen, als er auf die Finanzierung drängte, daß man nur sagen kann: Die haben ihn nicht für ernst genkommen. Die haben in Bonn die Bremer CDU als 30-Prozent-Partei auf der Latte, und darum kümmert sich keiner. Herr Nölle, gehen Sie wieder nach Hause, so haben die den da abgespeist. Und was soll man nun ein Bündnis mit so einem Mann

eingehen? Das bringt nichts.

Es wird furchtbar werden...

Wir haben eine Wurschtel-Legislaturperiode vor uns, die unter dem besonderen Finanzstreß stehen wird. Zwar hat der Finanzsenator vor der Wahl gesagt, es sei alles gar nicht so schlimm, aber es ist furchtbar, es ist ganz furchtbar. Wenn nicht ein Finanzwunder passiert und Bremen 7 Milliarden, die Hälfte der Schulden, abgenommen werden, dann ist Bremen mitten in der Legislaturperiode regierungsunfähig.

Was bringen die Grünen?

Die Grünen bringen das Wählerreservoir, das der Sozialdemokratie fehlt. Im Grunde genommen kann die Sozialdemokratie in Bremen nur wieder Mehrheiten für das Regieren für sich mobilisieren, wenn sie das grüne Wählerlager für sich zurückholt, denn das ist das alte sozialdemokratische Stimmpotential. Deswegen muß sie mit den Grünen Politik machen. Es bleibt dieser Partei nichts anderes übrig, denn alle anderen haben nichts zu bieten.

Warum keine Ampel?

Ich denke, daß die Grünen ganz schlecht beraten wären, wenn sie sich auf eine Ampel-Koalition einließen. In einer Ampel-Koalition würden die Grünen eine Randfigur abgeben, ich glaube nicht, daß sie sich da stark profilieren könnten. FDP und Grüne würden das Risiko eingehen, mit einer stark angeschlagenen Mehrheitspartei regieren zu müssen. Wenn sie nicht in diesen Ludergeruch selbst hineinkommen wollen, müssen sie sich profilieren. Sie können nicht gemeinsam gegen die SPD was durchsetzen, sondern es muß Punkte geben, wo die FDP sagen kann: Das haben wir gemacht, und es muß Punkte geben, wo die Grünen sagen können: Das haben wir gebracht. Ich glaube, daß dafür keine Spielräume da sind. Da ist ja kein Gestaltungsraum mehr. Für einen zweiten Palazzo Pissi oder ein zweites Kongreßzentrum wird das Geld nicht da sein.

Eine Ampel-Koalition wäre nur für die SPD komfortabel?

Insofern auch nicht bequem, als die Ampel versuchen würde, der SPD das bißchen abzuverhandeln, was noch herauszuquetschen ist, um alle Mittel auf die Felder von FDP und Grünen zu verteilen.

Wedemeier war nie für Rot- Grün.

Das ist ein Bündnis, zu dem er keine große Lust hat. Aber die CDU würde ihn sofort in den Clinch mit Scherf bringen. In dem Augenblick, wo Wedemeier sagt: Schwarz-Rot, sagt Scherf: Rot- Grün. Und ein angeschlagener Wedemeier kann sich so eine Auseinandersetzung nicht leisten.

Die Grünen haben keine Wahl

Aber Wedemeier hat natürlich Angst, sich mit einem grünen Haufen zusammenzutun, der in sich heterogen ist. Da brauchen nur zwei auszuscheren, dann ist die Mehrheit flöten. Grün und Rot in ein richtiges Aktionsbündnis zu bringen, das glückt nur, wenn einer die Kralle des Regierens hat. Nur so geht das.

Das stellt verschärft die Frage nach der Koalitionsfähigkeit der SPD unter Wedemeier.

Für die Grünen stellt sich die Frage: Entweder machen wir mit, dann können sie es nur mit Wedemeier, denn wer soll es denn sonst machen, es gibt keinen Herausforderer. Es wird sich so hinwurschteln, daß er die Regierung bildet. Fragen: Holger Bruns-

Kösters, Klaus Wolschner