Rundfunkmission im Dienste Gottes

Aus einem Schafstall in Ekuador ertönte 1931 der erste Rundfunkmissionssender der Welt Die „Kreuzritter der Mattscheibe“ träumen von einem TV-Gerät für ein bis zwei Dollar  ■ Von Elisabeth Rohr

Eines Tages hatte der amerikanische Missionar Clarence W. Jones eine Vision: Die Menschheit würde durch das Radio errettet und Gott weise ihm den Weg nach Südamerika. Alsbald begab er sich auf die beschwerliche Reise und traf in Ekuador den amerikanischen Missionar Reuben E. Larsen, der im Auftrag der Regierung Salz an die Indianer verteilte. Dank seiner Unterstützung gelang es, eine Sendelizenz von der Regierung zu erwirken. Und Weihnachten 1931 ertönte aus einem Schafstall unter Eukalyptusbäumen zum ersten Mal die „Stimme der Anden“ — wie sich der Sender nun nannte.

Damals ahnte noch niemand, daß damit eine neue Ära der Proselytenmacherei angebrochen und gleichzeitig der Grundstein für den Aufbau eines weltweiten, missionarisch orientierten Medienimperiums gelegt war. Ein Imperium freilich, das zur Domäne religiös-orthodoxer und politisch-konservativer protestantischer Kräfte wurde, die es wie keine andere Religionsgemeinschaft verstanden, Massenmedien wie Funk und Fernsehen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Und dies nicht nur in den USA, sondern auch in der Dritten Welt und zunehmend auch in Europa. Die überwiegend aus dem fundamentalistischen und evangelikalen Kirchenspektrum der USA stammenden Rundfunkpioniere hatten schnell erkannt, daß Radiomission nicht nur völlig neue Wege der Glaubensverbreitung eröffnete, sondern zugleich auch neue Konversionspotentiale erschloß.

Radiomission: die „Luftwaffe“ der religiösen Bekehrung

Zunächst nur gedacht als eine Art „Luftwaffe, um die Arbeit der tapferen Infanteristen in der Missionsarmee zu unterstützen“, wurde jedoch alsbald deutlich, daß der weltweite Einsatz von Massenmedien im Dienste Gottes einen Bekehrungsboom selbst in jenen Ländern erzeugte, in denen traditionelle Missionsaktivitäten fehlten. Deshalb wurde die Entwicklung von leistungsstarken Anlagen im Kurzwellenbereich mit Macht vorangetrieben. Inzwischen sorgt ein interkontinentales Netz von Rundfunkmissionen dafür, daß die über Ätherwellen transportierte „Heilsbotschaft“ alle Winkel dieser Erde durchdringt. Zu den leistungsstärksten Sendern der Welt zählen die Stationen in Ekuador, auf Bonaire (Antillen), in Liberia, auf den Philippinen, in Südkorea und in Monaco. Die mit Abstand stärkste Radiomissionsgesellschaft mit einer Sendekapazität von 2.000Kilowatt befindet sich auf Bonaire. Von hier und von Zweigstellen in Monaco und Wetzlar (Evangeliums-Rundfunk) deckt Trans World Radio (TWR) mittlerweile die Sowjetunion, Südamerika und die Karibik mit religiösen Programmen ein.

Watt-Kartell will die ganze Erde bekehren

Finanziert werden die Sender im wesentlichen durch Spendengelder, die zu einem geringen Teil in den Ländern selbst, überwiegend jedoch in den USA und in Kanada aufgebracht werden. Dabei werden die Gläubigen umworben mit einem alten Traum: „die Bekehrung der Welt“ und die „Errettung von 600 Millionen Heiden“. Um diesen Welteroberungstraum zu verwirklichen, haben sich HCJB (Heralding Christ Jesu Blessing) in Quito, Radio ELWA (Eternal Love wins Africa) in Monrovia, FEBC in Manila und TWR auf Bonaire zu einem Watt- Kartell zusammengeschlossen. Bis zum Jahre 2000 wollen sie mit Hilfe von Gebeten und der finanziellen Unterstützung von Freunden in der Lage sein, jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind auf dieser Erde die Möglichkeit zu bieten, per Radio die Heilsbotschaft in der eigenen Sprache zu hören.

Um ihren religiösen und politischen Einfluß auch auf internationaler Ebene zur Geltung zu bringen, hatten führende US-amerikanische Fernsehprediger wie Pat Robertson, Jimmy Swaggart und Oral Roberts schon früh begonnen, ihre Gewinne in den expandierenden religiösen Medienmarkt der Dritten Welt zu investieren. Reagan hat diese Bibelfetischisten gesellschafts- und politikfähig gemacht und ihnen auch in der US-Außenpolitik erheblichen Einfluß eingeräumt. So in Nikaragua, wo die Fundamenalisten ihr Scherflein dazu beitrugen, den Contras „humanitäre Hilfe“ zukommen zu lassen. Auch in den Homelands von Südafrika zeigten fundamentalistische Massenmedien, allen voran Trinity Broadcasting Network, soviel an politischem Engagement, daß sie von der südafrikansichen Regierung für ihre Programmgestaltung in Zeiten ziviler Unruhe ausgezeichnet wurden. Mit dem Fortschritt der Technik und immer wattstärkeren Anlagen gelang den Ätherwellen, was den Pionieren der Missionsarmee noch verwehrt blieb: nämlich in islamischen und kommunistischen Staaten missionarische Aktivitäten zu entfalten.

Das Alte Testament als Zeichentrickfilm

Doch seit der Eiserne Vorhang fiel, wittern die Fundamentalisten zumindest im einstigen „Reich des Bösen“ Morgenluft: Die Sowjetbürger dürfen sich seit kurzem an der Ausstrahlung der Zeichentrickfilmserie Superbook — einer Illustration des Alten Testaments — erfreuen.

Doch realistisch genug, um einzusehen, daß die geistige Eroberung der Welt nicht bloß mit Ätherwellen zu leisten ist, haben die einstigen Rundfunkpioniere nun beschlossen, mit Hilfe neuer Techniken die Märkte der Dritten Welt auch für Tele-Evangelisation zu erschließen. Wie einst, als Sony im Auftrag nordamerikanischer Evangelikaler billige Radioempfänger mit einer einzigen Stationstaste produzierte, wird an der Idee eines biligen und besonders für die Verhältnisse in der Dritten Welt geeigneten TV-Geräts gebastelt. Michael Little, Manager der CBN, träumt von einem Projekt zur Missionierung der Ungläubigen, das vorsieht, Tausende kleiner Styroform-Fernsehgeräte aus Fallschirmen über „heidnischen“ Bevölkerungsgruppen abzuwerfen. So groß wie eine gefaltete Tageszeitung nutzt das Gerät Sonnenenergie, und angeschlossen an einen Satellitenempfänger könnte das Gerät in etwa zehn Jahren, in Massenproduktion hergestellt, zu einem Preis von ein bis zwei Dollar vertrieben werden. Natürlich kann mit dem Gerät nur ein einziges Programm empfangen werden, das von CBN. Michael Little trieb dann seine Phantasie noch ein Stück weiter und stellte sich vor, wie es wohl wäre, wenn 1999 ein militärisches Frachtflugzeug eine Ladung Styroform-Fernsehgeräte über China, Vietnam und Kambodscha abwerfen würde. Noch hoch über den Wolken würde der Container sich öffnen, und mehrere tausend leichtgewichtiger Styroform-Fernseher schwebten langsam zur Erde, vom Winde in alle Richtungen zerstreut. Zwei kleine Piktogramme würden zeigen, wie das Gerät zu benutzen ist, einmal als Sonnenkollektor, ein andermal als Fernsehempfangsgerät. An einem Knopf drehend kann man das gleiche Programm in einer anderen Sprache hören.

Nach dem weltweiten Durchmarsch des Coca-Cola-Imperialismus nun also der Siegeszug des Bibel-Imperialismus fundamentalistischer Prägung? So abwegig scheint der Gedanke keineswegs, wenn man bedenkt, daß weltweit bereits über 210 Millionen Christen zu einer der vielen religiös orthodoxen Missionsgemeinden aus den USA gehören. Doch obwohl die vereinten biblischen Radiosignale von HCJB, von FEBC, von TWR und von Radio ELWA den Globus bereits in 152 Weltsprachen umkreisen, bleiben immerhin noch 124 große Welthandelssprachen dem Zugriff der Medien wegen noch nicht abgeschlossener Übersetzungsarbeiten entzogen. Bereits heute beeinflußt diese Art von Missionsarbeit die Kultur der Dritte-Welt-Länder in nicht unerheblichem Maße. Sie verändert die kulturspezifischen Lebensgewohnheiten der Völker, die Identität Einzelner und ganzer Kollektive, beschleunigt Entfremdungs- und Entwurzelungserscheinungen, die notdürftig mit religiösen Versprechungen gekittet werden, und fördert die individuelle Modernisierungsbereitschaft sowie die bruchstückhafte Anpassung an Normen und Werte westlicher Industrienationen. Bisweilen rücken die religiösen und politischen Interessen der christlichen Massenmedien gänzlich in den Hintergrund und zwar regelmäßig dann, wenn es um Spendeneinnahmen geht.

Seit nämlich die Sexskandale der selbsternannten Sittenapostel der Nation das andächtige Publikum von den nordamerikanischen Fernsehschirmen vergraulten, zeigen diese stark rückläufige Tendenzen. Erschreckt suchen die „Kreuzritter der Mattscheibe“ nun nach neuen lukrativen Quellen, um die Ebbe in ihren Konten wieder aufzufüllen. Neuerdings ist Europa, vor allem die Schweiz und die Bundesrepublik, ins Visier einzelner Missionsgesellschaften und Medieninvestoren aus den USA geraten.

Nach Darstellung von SAT-1-Geschäftsführer Jürgen Doetz bedrängen finanziell starke religöse Gruppen aus den USA die großen privaten Fernsehanbieter in der Bundesrepublik, ihnen Sendezeiten zur Verfügung zu stellen. Diese werden zwar „sofort und ohne jede weitere Prüfung abschlägig beschieden“, doch fragt sich, wie lange noch? Denn die zunehmende „gesellschaftliche Unüberschaubarkeit“ und die steigend psychische Verelendung vor allem in den neuen Bundesländern beschert nicht nur rechtsradikalen Parteien, sondern gleichermaßen auch religiös-konservativ gesinnten Kreisen Zulauf.