MIT JAPANS PRAGMATISMUS AUF DU UND DU
: Fernost fest im Griff

Die japanische Finanzpolitik vor der IWF-Jahrestagung  ■ Aus Tokio Georg Blume

Wieder einmal hat Japans wirtschaftlicher und politischer Pragmatismus die hehrsten Prinzipien der Nation außer Kraft gesetzt. Pünktlich im letzten Augenblick, als schon niemand mehr an ein japanisches Einlenken glauben konnte, exerzierte Tokio in dieser Woche eine Kehrtwende seiner bislang rigorosen Moskau-Politik und versprach ein vergleichsweise großzügiges finanzielles Hilfspaket für Gorbatschow über annäherend 2,5 Milliarden Dollar.

Die japanische Regierung bewies damit ihr Geschick vor all jenen Kritikern, die nur darauf lauerten, während der am Wochenende beginnenden Jahresversammlung von Weltbank und internationalem Währungsfonds Japan Arroganz und Knauserigkeit anzulasten.

Schon einmal zuvor in diesem Jahr glückte Japan eine solche „Last-minute“-Operation. Fast auf den Tag genau zum Waffenstillstand im Golf bewilligte das Tokioter Parlament im März die japanischen Kriegsgelder über 13 Milliarden Dollar. Heute nimmt Japan von dem ebenfalls seit Kriegsende gepflegten Grundsatz Abschied, der eine Annäherung mit der Sowjetunion von der Rückgabe der vier von Stalin annektierten Kurileninseln im Norden des Landes abhängig machte. Diese Territorialforderung nach vier winzigen Fischerinseln geriet seit einiger Zeit zum Gespött westlicher Beobachter. Nun aber hat sich Tokio über Nacht an die Spitze derer katapultiert, die Moskau helfen.

Das verändert die Ausgangspositionen in den Finanzgesprächen rund um die jetzt stattfindene Jahrestagung der Weltbank in Bangkok. Denn auch im Vergleich mit den Unterstützungsmaßnahmen aus Brüssel und Washington hält das Tokioter Hilfspaket stand. Kein europäischer Finanzpolitiker wird Tokio in den nächsten Tagen der mangelnden Einsicht in die Notwendigkeiten globaler Kreditkoordination schelten können.

Vielmehr hat die japanische Regierung nun den Rücken frei, um vor den westlichen Partnerländern in Bangkok für mehr Einsicht in die asiatischen Verhältnisse zu werben.

Asien, so behauptet beispielsweise der Leiter der Asienabteilung in der Weltbank, sei das Stiefkind der Finanzpolitik von IWF und Weltbank. Während in Asien annäherend zwei Drittel der hilfebedürftigen Weltbevölkerung leben, spendiert die Weltbank für den Kontinent nur zwischen 30 und 40 Prozent ihrer jährlichen Leihgaben. Dieser dürftige Anteil droht nun unter dem Kreditsog Osteuropas und der Sowjetunion noch weiter zusammenzuschmelzen. Gegen diese Tendenz wird Japan in Bangkok vehement vorsprechen.

Die Tokioter Öffnung gen Moskau entspringt allerdings nicht reiner Humanität, sondern den seit langer Zeit wohlgehüteten Überlegungen der japanischen Handelshäuser, die das Rohstoffreich UdSSR nicht a priori dem Westen überlassen wollen. Die Pläne dieser Handelsgiganten wogen letztendlich schwerer als Japans nationaler Kurilenstolz.

Umgekehrt werden auch die asiatischen Vorbehalte gegenüber Japan schwinden, wenn sich die Kontinente ökonomisch stärker voneinander isolieren. Die Entwicklung käme übrigens nicht dem Westen zugute. Längst ist das pazifische Becken die wirtschaftlich vitalste Weltregion.