20 Jahre Uni: Oh Alma, bleiche Mutter!

■ Die Bremer Universität feiert Jubiläum / Rückblick auf die Anfänge des Kuhgrabenviertels

Demokratie wagen war auch das Motto an der Bremer Reformuni Hervé Maillet

Til Schelz, 1971 als gestandener Mao-Revolutionär vom Klassenkampf an der FU Berlin zum studentischen Tutor an die neue Bremer Universität abgeworben, schrieb für die taz er einen Rückblick auf jene Gründerjahre.

Im Frühsommer 1971 ging ein Gerücht um in Berlin, Metropole der Studentenbewegung: Irgendwo in der nordwestlichen Provinz sollte eine Uni gegründet werden, an der all das staatlich finanziert werden sollte, was bei uns in Berlin staatlich verhindert wurde: Wissenschaft im Dienste des Volkes, bzw. in sozialdemokratischer Diktion: eine Universität im Interesse der Unterprivilegierten. Keine selbstherrlichen Ordinarien, sondern drittelparitätische Mitbestimmung, kein Fachidiotentum, sondern Pro

Hier das foto mit dem

feigenblatt

jektstudium. Und das märchenhafteste: Wir, seit 4-6 Semestern beschäftigt mit dem Studium der Blauen Bände, der Flugblattproduktion und dem Abfüllen von Farbeiern, sollten eigene Veranstaltungen machen können und dafür, Amtsbezeichnung: „Tutor“, auch noch ein Gehalt von 495 DM bekommen. Tatsächlich erhielten wir auf unsere Bewerbung prompten Bescheid, wir möchten uns doch ca. 4 Wochen vor Beginn des Wintersemesters 1971/72 in Bremen einfinden zwecks Vertragsunterzeichnung und einer ersten Tutorenversammlung.

Der Anblick dieser „Universität“ war eher idyllisch: Zwei Fertigbaukomplexchen, an denen noch eifrig gewerkelt wurde, inmitten einer veritablen kleinen Seenplatte riefen sofort unser

Mißtrauen gegen die Befriedungsstrategie der imperialistischen Bourgeoisie wach, das sich erst dann ein wenig legte, als uns tatsächlich in einer Behelfsbude Verträge ausgehändigt wurden, die uns schon für September Geld versprachen.

Und es wurde auch sonst an nichts gespart: Jeweils zu zweit bezogen wir ein Büro, schmückten es außen mit der Vietkong- Fahne, innen mit der definitiven Wahrheit Arno Schmidts: „Life is stranger than fictions“ und ergötzten uns an der Bibliothek, die frei und unkontrolliert vor unseren Türen lag und deren Bestand trotz ständiger Nachbestellungen eigentümlicherweise nicht nennenswert zunahm. Außerdem stand den Damen und Herren Tutoren monatlich ein Freifahrtschein nach Hause zu, uns als Frontstadt-Bewohnern natürlich ein Flugticket.

Und dann ging's los: „Kultur der Arbeiterklasse unter den Bedingungen des Imperialismus“ hieß unser erstes Projekt, dessen Abkürzung „KAImp“ einen Beitrag zum spezifischen Jargon der Uni lieferte, in der bald die ZLBK gegen Vorschläge der OEL protestierte, weil die Belange des SB ALP zuwenig berücksichtigt wurden oder umgekehrt.

Auch wenn vieles getan wurde, Harmonie zu erzeugen — im Projekt KompErz (Kompensatorische Erziehung) fand Sprachgeschichte auf dem Wohnzimmerteppich einer Hochschullehrerin statt —, taten sich doch bald ernste Widersprüche auf: ein leibhaftiger Professor für Politische Ökonomie beschwerte sich beim Akademischen Senat über die — Zitat — „wilden und ungewaschenen Tutoren“ — Zitat Ende —, was nicht nur inneruniversitäre Proteste hervorrief, sondern auch eine Demarche meiner in der Ehre ihrer Reinlichkeitserziehung tief getroffenen Mutter auslöste, wonach jener Herr Bress bald seinen Abschied nahm.

Auch wurden jetzt wohlgemeinte und vernünftige Vorschläge kritisiert. So beantragte der irgendwo im Gremiengestrüpp siedelnde jetzige niedersächsische SPD-Bundestagsabgeordnete Detlev von Larcher, zum Zwecke der Integration von Universität und arbeitender Bevölkerung die Disziplin Segelfliegen universitär zu fördern, zeigte sich aber dem Ergänzungs-Vorschlag „Polo“ wenig aufgeschlossen. Der extra für die Bremer „Rote Kaderschmiede“ abgestellte FAZ-Korrespondent fand einige Zuträger, das nützte ihm aber wenig, weil er in der Aufregung über diese Kontakte seine gesamten Unterlagen in der Uni-Telefonzelle vergaß, so daß die „Verräter“ rasch entlarvt werden konnten.

Die „Rote Kaderschmiede“ wurde ihrem Ruf anders gerecht als die FAZ damals befürchtete: Außer Otto Rehhagel stammt fast die gesamte heutige Bremer Prominenz vom Kuhgraben ab. Willi Lemke und seiner Ex-Evi, Claus Dittbrenner waren an der Uni Verwaltungsangestellte, Peter Sakuth persönlicher Rektor-Referent. Detlev Griesche suchte schon als studentisches Mitglied des Gründungssenats die dortigen Hochschullehrer mit professoraler Gebärde zu imitieren, Und auch der „Liebe Klaus“ fand hier die (Sekretärin) Ute.

Unter den Studenten brach bald der Kampf mehrerer Linien aus, zunächst schwerpunktmäßig an der Tischtennisplatte vor dem AStA-Büro. Anläßlich des vom Rektorat ausgesetzten Pokals „Der rote Urmel“ dehnte er sich auch auf den Fußballplatz aus. Unsere Umbennenung der Honecker-Fan-Mannschaft „Rote Socken“ in „Stinkende Fußlappen“ konterten diese mit der Broschüre „Wenn wir die Maoisten bekämpfen, ist das gut und nicht schlecht“.

Und die Differenzen entwickelten sich weiter: Auf einer Vollversammlung wurde von einer Kommilitonin Widerspruch gegen die fraktionsübergreifende, übliche Anrede „Genossinnen und Genossen“ eingelegt (akzeptierter Kompromiß: „Genossinnen und Genossen, liebe Kommilitonen“). Als Ralf Fücks von Heidelberg an die Bremer Uni kam, konnte hier endlich die Frage debattiert werden, ob nach Marx der Proletarier einen Beruf habe oder nicht, was nach anderthalb Stunden zu ernstem Unmut des großen Publikums führte.

Die Expropriation des kapitalistischen Staats erhielt neuen Schwung mit der Einweihung des Gebäudes GW II. Abendlicher Kleinlasterverkehr in der Tiefgarage des GW II sorgte dafür, daß Bremer Büromaterial-Bestände der proletarischen Revolution in Köln oder Frankfurt dienten.

Doch die schönen Tage der Pionierzeit waren bald vorbei, auch wenn sich der eher grämliche Rektor Thomas von der Vring bald zur Fischpolitik nach Straßburg verabschiedete und vom Rheinländer Hans-Josef Steinberg abgelöst wurde. Dessen allerbeste Seite war seine Sekretärin, die zum Ausgleich dafür, daß sie in der Berufungskommission immer gegen uns stimmen mußte, uns so manches Ferngespräch auf Rektoratskosten ermöglichte.

Aber da hatten wir uns schon vor die Werktore des Vulkan und der AG-„Weser“ verabschiedet und überließen die Uni dem Kapital und seinen Ingenieurswissenschaften, Falltürmen und Produktionstechniken. Till Schelz-Brandenburg